Samstag, 9. August 2008

Etappe 24: Von Astorga nach Foncebadón

Es ist Donnerstag, der 16. August 2007.

Ich breche wieder recht früh in der Herberge auf. Das hat sich mittlerweile schon so bei mir eingependelt, dass ich auch gar nicht viel länger liegen bleiben könnte, selbst wenn ich wollte. Außerdem verleiht mir dieser frühe Aufbruch auch Sicherheit, denn so kann ich mir genügend Zeit auf dem Camino lassen, den immer schönen Sonnenaufgang und die Morgenstimmung genießen, der eventuell heißen Mittagssonne weitestgehend entkommen und am Ende auch noch einen guten Platz in einer Herberge bekommen. Aber ich merke auch, dass in mir der Gedanke der Zivilisation steckt: je früher ich mit der Tagesarbeit beginne, desto früher bin ich damit fertig und kann mich entspannen. Nun ja, ob die jeweilige Tagesetappe dann wirklich Arbeit ist oder mehr Genuss hängt dann ganz von der Strecke ab. Im Moment ist es wieder reiner Genuss, denn auch meine Füße haben sich nun wieder stärker erholt und im Moment habe ich wenig Probleme mit Blasen.


Der Weg aus Astorga ist dank der Straßenlaternen recht einfach, danach geht es eine ziemlich lange Zeit an einer Straße entlang, die aber zu dieser Zeit völlig unbefahren ist. Wenig später habe ich in der Dunkelheit dann wieder einmal ein kleines Orientierungsproblem und weit und breit ist auch kein anderer Pilger zu sehen, der mir durch sein Laufen einen Hinweis auf den richtigen Weg geben kann. Ich gehe dann einfach auf dem meiner Meinung nach richtigen Weg weiter, aber ich bin doch unsicher und schaue immer wieder nach gelben Pfeilen oder anderen Hinweis aus. Bald danach erreiche ich das verschlafene Nest Murias de Rechivaldo und damit weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Von nun an geht es wieder quer durch die offene Landschaft und wenn ich den Blick zurück wende, kann ich Astorga noch in der Ferne erkennen. An einer Stelle des Weges, die recht eindeutig ist – weit und breit gibt es keine Abzweigung – haben ein paar Pilger einen Steinpfeil auf den Weg gelegt, also aus vielen kleinen Steinen einen großen Pfeil geformt. Obwohl der hier so nutzlos erscheint, hat er etwas fürsorgliches und stimmt mich doch auch froh. Wenige Momente später geht die Sonne wieder in einem wunderschönen Naturschauspiel auf. Kurz darauf erreiche ich den Ort Santa Catalina de Somoza und gönne mir hier wieder mein kleines spanisches Frühstück. Als ich fertig bin und wieder wandere, herrscht eine wunderbar entspannende Morgenstimmung: blauer Himmel, in der Ferne bereits die Montes de León, die Sonne scheint, es ist angenehm frisch. Diese Stimmung und die Vorfreude auf die Berge machen mich so leicht, dass ich hier anfangen könnte zu singen. Naja, ich traue mich dann doch nicht und summe wenigstens ein bisschen vor mich hin. Von nun an wird es sehr abwechslungsreich. Immer wieder geht es entweder auf der Straße oder kleinen Pfaden daneben weiter, kleinere Berge hinauf, durch schattenspendende Wälder und durch weite Ebenen. Die Ausblicke, die ich dabei immer wieder zu Gesicht bekomme, sind wunderschön.




Nach einer ganzen Weile erreiche ich Rabanal del Camino, der letzte größere Ort vor dem Aufstieg in die Montes. Hier decke ich mich noch einmal mit Lebensmitteln ein bevor es weiter nach Foncebadón geht. Am Ortsausgang mache ich aber noch eine kleine Pause um mich ein wenig zu stärken. Dabei begegne ich einem anderen jungen Pilger, namens Harald. Er sieht ein wenig wie ein Wurzelzwerg. Er ist ebenfalls aus Deutschland und in unserem kurzen Gespräch kommt heraus, dass er aus Coburg kommt und sogar dort schon losgelaufen ist. Wie klein die Welt doch ist, bin ich doch im Rahmen meiner Tätigkeit am Lehrstuhl des Öfteren in Coburg. Harald ist auch schon einige Monate unterwegs, will auch noch weiter bis nach Santiago und dann vielleicht in La Coruna auf einem Schiff anheuern, das ihn wieder zurück nach Deutschland nimmt. Auch hält er nicht so viel vom Übernachten in Herbergen, sondern bleibt lieber im Freien, wenn er kann. Unglaublich, denke ich mir. Das ist schon eine beeindruckende Leistung und sozusagen eine Potenzierung meines Abenteuers hier. Wir verabschieden uns schließlich und ich laufe weiter, nun wirklich in die Berge. Das wird auch gleich deutlich, denn es geht steil voran, dabei aber auf gemütlichen kleinen Wiesenpfaden. Manchmal komme ich an Tränken vorbei, die offenbar für das Vieh gedacht sind und ich fühle mich ein wenig wie Heidi auf der Alm. Der Blick in Richtung Berge und in die Täler ist sehr schön.



Nach einer guten Stunde kommt Foncebadón in Sicht. Das Ziel ist erreicht und dieses Ziel ist ein Kuriosum und wohl einzigartig auf dem Weg. Foncebadón zählt normalerweise nur fünf Einwohner und besteht größtenteils aus verfallenen alten Steinhäusern. Einst, vor vielen hunderten von Jahren wurde hier eine Herberge gegründet um die Pilger vor dem beschwerlichen und gefährlichen Weg durch die Montes de León rasten zu lassen. Bald darauf wurde ein Kloster gegründet und der Ort stand unter besonderem königlichen Schutz. In moderner Zeit aber starb der Ort aus, die Häuser verfielen und der Wind war der ständige Gast hier. Heute aber wohnen wieder einige Leute hier und mit dem Strom der Pilger dürfte sich die Zahl der Einwohner von Foncebadón wohl um das 20fache ansteigen. In der Tat herrscht in diesem Dorf der Ruinen eine ganz außergewöhnliche Stimmung. Fast meinte man, eine Zeitreise zurück in das 12. Jahrhundert unternommen zu haben.



Es herrscht Stille, der Wind fegt durch die verfallenen Häuser, ein Hund liegt ruhig vor einem der bewohnten Häuser, auf dem Feld ein paar Pferde und in der Ferne klingeln die Glöckchen einiger Schafe. Nur die Wolken, die vom Gebirge über den Ort ziehen, trügen ein wenig das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben. Es ist geheimnisvoll hier, ja fast mystisch. Erst als ich vor der Herberge ein paar Mitpilger treffe, weicht dies ein wenig. Wir sind nun doch alle ziemlich erschöpft und ich bin froh jedem etwas Gutes tun zu können, indem ich meine Schokolade aus Astorga verteile (die mir ohnehin nicht so gut geschmeckt hat). Gemeinsam warten wir, dass die Herberge öffnet. Einige Pilger warten mit uns, andere ziehen vorbei. Später kommt auch der Ulmer Steffen dazu und wartet ebenfalls. Gegen 14 Uhr kommt ein etwas garstiger alter Mann und empfängt uns. Von mir verlangt er sofort nach Aufnahme meiner Daten die Spende und gemessen am niedrigen Standard der Herberge gebe ich zu viel. Das Wasser in den Duschen ist nicht wirklich warm, die Herberge selbst ist auch kalt und da wir hier im Gebirge sind und mittlerweile ein kühler Wind Einzug gehalten hat, ist uns allen nun recht kühl. Der Nachmittag vergeht nur langsam, denn die Zeit scheint hier in der Tat anders zu verstreichen. Manchmal ist es richtiggehend langweilig, dafür füllt sich aber unsere Herberge immer weiter und ist bald schon voll, so dass spät ankommende Pilger auch schon mal weitergeschickt werden müssen. Ein paar Pilger und der garstige Hospitalero machen ein Abendessen, das wir später gemeinsam einnehmen. So herrscht wieder etwas Gemeinschaftsgefühl. Am Rande des Ortes entdecke ich einen für mich himmlischen Ort. An einem kleinen Teich steht ein großes Holzkreuz und dort ist man mit dem Himmel und mit sich ganz allein. Ich beobachte die vorbeiziehenden Wolken, schaue hinunter in den Ort und zum verfallenen Kirchturm, höre dem leisen Klingen der Schafsglöckchen zu. Vor mir liegen die Berge, die Herausforderung der morgigen Etappe und irgendwo dazwischen das berühmte Cruz de Ferro.