Dienstag, 29. Januar 2008

Etappe 10: Von Navarrete nach Azofra

Es ist Donnerstag, der 2. August 2007.

Ich wache morgens in der Herberge auf und das erste, was ich spüre, ist wieder dieser stechende Schmerz im Fuß. Unglaublich, dass die Blasen mir jetzt wieder das Leben schwer machen. Viele Pilger sind bereits unterwegs obwohl es noch dunkel ist. Sieglinde ist auch schon am packen, aber sie wartet auf mich und so ziehen wir gemeinsam durch das dunkle Navarrete hinaus in die Landschaft des Rioja. Nach einer Weile schmerzt mein Fuß so sehr, dass ich pausieren muss und Sieglinde läuft langsam weiter. Ich möchte sie auch nicht aufhalten.




Nach einigen Momenten laufe ich langsam weiter und bald beginnt es zu dämmern. Der Weg verläuft nun wieder entlang einer großen Fernverkehrsstraße, die aber zu dieser Zeit noch nicht so stark befahren ist. Dennoch trübt es ein wenig die Idylle. Links von mir erheben sich weitere Weinberge, die der Region alle Ehre machen. Vor mir kann ich weit blicken und den Weg verfolgen, der darauf wartet, dass ich auf ihm voranhumpele. Leider machen es mir die Schmerzen schwer, mich auf Landschaft und auf meine Gedanken zu konzentrieren. Ich meine, in der Ferne Sieglinde erkennen zu können, bin mir aber nicht sicher. Wo die anderen sind, weiss ich nicht. Mir geht ein Gedanke Sörens durch den Kopf, der meinte, zu Hause würden die kleinsten Probleme immer große Schatten auf unseren Alltag werfen. Hier hingegen sei er einfach nur froh, auf dem Jakobsweg laufen zu können und dies würde alle Sorgen hier verdrängen. Mir fällt es im Moment schwer, diesen Gedanken nachzuvollziehen und doch verstehe ich ihn und fühle, dass es auch bei mir so ist. Leider sind aber meine Schmerzen gerade so dominant, dass dieses Gefühl weit entfernt zu sein scheint.


Kurz vor dem Alto de San Anton, einer kleinen Anhöhe, treffe ich auf Ute und Peter, was mich freut und aufmuntert. Die beiden sind fit und laufen nach einem kurzen Plausch gemütlich weiter. Bald darauf komme ich zu den berühmten Steinmännchen (Bilder oben), die Pilger hier nun schon seit langer Zeit aufstellen. Es sind teilweise sehr viele und es ist etwas komisch, diese Armee von steinernen Kollegen zu betrachten. Sie sind Zeugen all jener Menschen, die auch auf dem Jakobsweg gelaufen sind und sie hier errichtet haben, aus welchem Grund auch immer. Und sie kennen all jene, wie mich, die vorbeigelaufen sind und keinen Kameraden aufgestellt haben. Es ist irgendwie ein witziger Ort aber er hat auch etwas mystisches.

Schon bald treffe ich auf Julian, Sabine und Sieglinde und wir entscheiden uns im Angesicht der kleinen Steinleute eine Kleinigkeit zu frühstücken. Anschließend machen wir uns gemeinsam auf den Weg und laufen ein Stück zusammen. Am Alto de San Anton genießen wir eine herrliche Aussicht auf die vor uns liegende Ebene (Bild rechts). Dann geht es weiter durch Weinfelder bis nach Nájera. Auf dem Weg trenne ich mich wieder von der Gruppe und laufe allein. In Nájera verspüre ich Hunger und besorge mir in einem Supermarkt eine Kleinigkeit, die ich an der Straße esse. Es dauert gar nicht lange, bis mich ein älterer Spanier anspricht und mir den Weg weisen will. Er meint wohl, ich hätte mich verlaufen, was zwar nicht stimmt, aber gerne nehme ich seine wohlgemeinte Wegbeschreibung an. Abschließend fragt er mich noch, woher ich komme und als ich ihm sage, dass ich Deutscher bin, lacht er freundlich, nennt ein paar deutsche Städte und wünscht mir einen guten Weg. Schön! Wieder so ein anrührender Moment, für den ich dankbar bin.
Später verlasse ich Nájera wieder, nachdem ich mir das alte Kloster Santa Maria de la Real (Bild oben) wenigstens von außen angesehen habe und laufe über eine Hochebene weiter in Richtung Azofra, in dem ich gerne übernachten möchte. Die Mittagshitze treibt mich wieder voran und nachdem mich Sabine und Julian wieder eingeholt haben, marschieren wir drei gemeinsam zur recht modernen Herberge von Azofra. Hier schläft man in angenehm kühlen Zwei-Bett-Kompartments und erfährt damit erstmals seit langer Zeit wieder so etwas wie Privatsphäre. Kurz nach uns kommt auch Sieglinde an, die das noch freie Bett in meinem Kompartment zugeteilt bekommt. Natürlich freue ich mich darüber, denn vor allem weiss ich, dass Sieglinde nicht schnarcht.
Nach einer angenehmen Dusche und der alltäglichen Wäsche und der Mittagsruhe schaue ich mir die Herberge noch etwas genauer an. Diese ist nun mittlerweile auch wieder voll, besitzt aber auch wieder die angenehme Atmosphäre eines Urlaubsresorts. Plötzlich sehe ich, wie Sören und Lea ziemlich erschöpft auch hereinkommen. Wir begrüßen uns kurz, doch da alle Betten belegt sind, werden die beiden an die örtliche kirchliche Herberge verwiesen. Das ist das letzte Mal, dass ich die beiden sehe.



Nach der Siesta besuchen Sabine und ich den örtlichen Tante Emma Laden. Sie möchte gerne eine vorher gekaufte Limonade umtauschen, weil sie meinte, es sei Wasser mit Sprudel und ich will ein paar Sachen zum Abendessen einkaufen. Die Verkäuferin des Ladens versteht allerdings nichts von dem, was Sabine will und in der Tat ist Wasser mit Sprudel in Spanien eher eine Rarität. Ich muss allerdings ob der Anstrengungen Sabines und auch wegen ihrer teilweisen Frustration herzlich lachen. Ob die Frau es nun nicht verstehen wollte oder tatsächlich nicht verstand, wird sich nicht klären. Jedenfalls war es aber eine lustige Situation. Später gehen wir beide uns noch die Kirche ansehen. Als wir uns ihr nähern, hören wir, wie ein paar Pilger im hinteren Teil der Kirche stehen und einen Kirchenchoral singen. Vorsichtig treten wir ein und setzen uns in die leeren Kirchenbänke. Die Pilger gehören offenbar zu einem Chor und es ist wundervoll ihnen zuzuhören. Als sie fertig sind, höre ich nur, wie sie leise miteinander flüstern und sich offensichtlich darüber unterhalten, dass wir Deutsche sind. Plötzlich stimmen sie das Sanctus aus der Deutschen Messe von Franz Schubert an und singen es auch auf Deutsch. Wir beide sind überwältigt von dem Klang, der Wirkung der Kirche und dieser überaus netten Geste und mir kommen die Tränen. Was für ein wundervoller Moment! Diese Musiker, die wir nicht kennen und die uns nicht kennen, sind uns plötzlich ganz nah. Die Musik verbindet ebenso wie die Erfahrung dieses Pilgerweges und führt uns zusammen. Als sie fertig sind, bedanken wir uns bei ihnen und kommen bei dem Weg zurück zur Herberge auch ein wenig ins Gespräch, obwohl keiner von uns die Sprache des anderen kann. Musik kann eine viel einfachere Sprache sein. Mit diesem wunderschönen Lichtstrahl auf meinem Jakobsweg endet dieser Tag und lässt in der Tat alle Sorgen für den Moment vergessen.