Donnerstag, 14. August 2008

Etappe 29: Von O Biduedo nach Samos

Es ist Dienstag, der 22. August 2007.

Für die heutige Etappe habe ich mir als Ziel Samos gesetzt und damit wird es ein relativ kurzer Marsch und so kann ich ausschlafen, verlasse gegen 8 Uhr das Zimmer und frühstücke gleich noch in der Casa Rural. Das Wetter hat sich nicht gebessert, es ist nun sehr feucht draußen mit Nebel und Nieselregen. Für mich bedeutet dies, den Rucksack und die Sachen regenfest zu machen. Gegen halb neun verlasse ich O Biduedo und treffe lange Zeit keine Pilger, weil die natürlich alle schon unterwegs sind. Hier oben in den Bergen mit dem Nebel wirkt die Landschaft etwas geheimnisvoll. Gestern noch hatte ich weite klare Blicke über Berge und in die Täler. Nun kann ich bisweilen nicht einmal mehr fünfzig Meter weit schauen und nur das monotone Treten meiner Stiefel im schlammigen Boden ist zu hören. Ich passiere ein paar Hochspannungsleitungen, die irgendwo im Nichts zu verschwinden scheinen. In der Tat gibt es Stellen, an denen ich meine, die Welt würde hinter einer Nebelwand aufhören zu existieren. Immer häufiger treffe ich nun auch auf kleine Wege, die von Natursteinmauern umgeben sind, was dem Ganzen einen irgendwie keltischen Touch gibt, die geheimnisvolle Stimmung aber nur verstärkt, vor allem weil sich der Nebel auch in diesen Kanälen verfängt. Mitunter sind die Wege so schlammig, dass ich hüpfen muss, um mit den Stiefeln nicht irgendwo stecken zu bleiben. Ich bin ein hüpfender Pilger im Nebel. Irgendwann höre ich dann weitere Schritte und fast erleichtert stelle ich fest, dass ich doch nicht der einzige Mensch auf der Welt bin und schon gar nicht der einzige Pilger auf dem Jakobsweg. Der Nieselregen ist unterdessen zu ertragen, allerdings komme ich nun doch wieder ins Schwitzen und bin daher trotz allem auch von innen nass. Es ist ähnlich, wie bei meiner ersten Etappe über die Pyrenäen.


Kurz vor Triacastela treffe ich auf alte Bekannte aus Ruitelán: die drei Amerikaner und Reinhard der Deutsche tauchen in ihren bunten Regencapes vor mir auf und wirken, als hätte jemand unpassende Farbklekse in ein Landschaftsportrait gemalt. Wir unterhalten uns kurz, wodurch ich erfahre, dass es Jeff noch immer nicht viel besser geht mit seinen Füßen, er sich aber weiter mutig durchkämpft. Seine Schwester und Mutter hingegen sind ganz munter und typisch amerikanisch abgedreht. Nachdem sich die drei entscheiden, in Triacastela zu frühstücken, trennen sich unsere Wege wieder.



Kurz danach teilt sich auch der Jakobsweg wieder in zwei Alternativen, wovon eine über das Kloster Samos führt und eine andere über San Xil. Ich habe mir ja die erste Route ausgesucht und muss dementsprechend eine Weile entlang der Straße laufen. Später dann zweigt der Weg aber ab und führt nun durch eine zauberhafte grüne Landschaft, durch winzige Dörfchen mit eindeutig keltischem Flair. Immer wieder gibt es die in Natursteinmauern eingefassten Wege und meist führen sie durch einen frisch wirkenden grünen Mischwald. Es ist ein wenig wie eine Filmkulisse und manchmal warte ich schon förmlich darauf, dass ein Hobbit von einem Ast hüpft oder ein Zwerg hinter einem Baum hervorkriecht. Alles wirkt natürlich alt, als könnte jeder Baum und jeder Strauch, jeder Stein und jeder kleine Fluss eine eigene lange Geschichte erzählen.



Gegen Mittag erreiche ich schließlich über eine Anhöhe den Ort Samos und von hier oben eröffnet sich mir unvermittelt ein majestätischer Blick auf wohl eines der ältesten Klöster der christlichen Welt. Es fügt sich wunderbar in die grüne Landschaft ein und wirkt überhaupt nicht protzig, sondern ganz bescheiden. Da die Herberge im Kloster aber erst um 14 Uhr öffnet, bleibt mir mehr als genügend Zeit, mir den Ort anzusehen. Während ich so um die Klosteranlage gehe, treffe ich auf Holger, der in León in der Herberge neben mir geschlafen hatte. Als ich ihn frage, wie es ihm geht, erzählt er mir, dass es gar nicht gut ginge. Er hätte schon zwei Tage Magenschmerzen und überlege, ob er seine Reise hier beenden und zurück nach Deutschland fliegen solle. Ich gebe ihm erstmal ein paar meiner homöopathischen Pillen und anschließend zeigt er mir den Eingang zur Herberge. Dort darf ich derweil meinen Rucksack abstellen und gemeinsam gehen wir erst einmal einen Kaffee bzw. Tee trinken. Im Gespräch wird mir klar, dass es ihm wirklich nicht gut geht. Sicher, vor allem hier in der Fremde und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Wer würde sich da in einer solchen Situation gut aufgehoben fühlen. Ich rate ihm, mit den Hospitaleros vom Kloster zu reden und sich in ein Krankenzimmer aufnehmen zu lassen und Holger scheint sich tatsächlich dazu überwinden zu können. Später dann, als ich noch ein paar Einkäufe tätige und E-Mails nach Hause schreibe, kommt er schnell zu mir und sagt, er habe gerade ein Taxi angehalten und er würde doch nach Sarria fahren und dann nach Hause fliegen; es ginge ihm wieder schlechter. Natürlich kann ich seine Entscheidung verstehen, aber so mitzubekommen, wie für jemanden diese Reise zwangsläufig und so kurz vor dem Ziel enden muss, bestürzt mich. Es ist ein ganz komisches Gefühl, einerseits bestehend aus Dankbarkeit, dass mir sowas bisher erspart blieb und andererseits Furcht, dass es noch passieren könnte.




Als die Herberge schließlich öffnet, stelle ich fest, dass der Schlafraum an sich wunderschön ist, denn er erinnert durch seine gewölbeähnliche Form und die mittelalterlichen Wandmalereien tatsächlich an ein Dormitorium. Die Betten und insbesondere die Matratzen aber sind alt, durchgelegen und nicht sauber – also eher abstoßend und eklig. Ich bleibe aber trotzdem hier, weil es eben nicht immer Luxus pur sein kann, sondern nun muss es eben auch mal das sein. Später treffen dann auch Thomas und Clare ein, über deren Wiedersehen ich mich sehr freue. Ich hatte schon nicht mehr mit ihnen gerechnet und tatsächlich geht es Clares Knöchel auch nicht besser. Gemeinsam nehmen wir an einer Führung durch das Kloster teil, wobei ich feststellen muss, dass es von außen schöner ist, als von innen. Nach dem gemeinsamen Abendessen besuchen wir dann noch gemeinsam die Vesper, die in gregorianischen Gesängen gestaltet ist. Obwohl die Gesänge nicht wie von CD sind, ist es sehr schön und meditativ. Die anschließende Messe hingegen wirkt sehr automatisch und hat wenig Wirkung auf mich. Danach ziehen wir uns in unser Pilgerdormitorium zurück und gehen schlafen.