Sonntag, 27. Januar 2008

Etappe 8: Von Los Arcos nach Viana

Es ist Dienstag, der 31. Juli 2007.

Nachdem ich gegen 1 Uhr nachts endlich einen ruhigen Platz unter dem Dach bekommen hatte und wenigstens ein paar Stunden schlafen konnte, wache ich gegen 5:30 Uhr wieder auf und begebe mich leise nach unten in den Gemeinschaftsraum. Dort herrscht zu meinem Erstaunen schon reges Zusammenpacken. Nahezu das gesamte Zimmer, in dem ich noch bis vor dem Schnarchanschlag wohnte, ist schon auf den Beinen. Mir ist auch klar, warum und als ich in die verknitterten Gesichter von Ute, Peter und Sieglinde schaue, wird meine Vermutung bestätigt. Der Schnarcher sollte wegen Terrorismus eingesperrt werden!

Ich packe also auch meine Sachen und dabei fällt mir auf, dass das corpus delicti zusammen mit seinem Begleiter ja auch schon wach ist und seltsam erholt aussieht. Naja, kein Wunder!

In der Dunkelheit verlasse ich die schöne Stadt Los Arcos und treffe beim Laufen auch schon bald wieder auf die nette junge Frau, mit der ich mich gestern abwechselnd immer wieder überholt habe. Ich hatte sie in der Herberge von Los Arcos in einem Gespräch dann auch näher kennengelernt und erfahren, dass sie Connie heisst und aus Kanada kommt. Ich treffe also Connie wieder und gemeinsam laufen wir ein Stückchen durch weite ebene Landschaft mit vielen Weizenfeldern über denen dann bald die Sonne glühend aufgeht. Da ich etwas später eine Pause einlegen muss, weil der Rucksack schon wieder irgendwie nicht mehr so recht zu meinem Rücken passen will, trenne ich mich von Connie und sie zieht allein weiter. Sie hat sich als Etappenziel Logrono vorgenommen, während ich plane, nur bis Viana zu gehen. Bald komme ich nach Torres del Rio, einer kleinen Stadt auf einer Anhöhe, die ich aber ohne längeren Stopp durchlaufe (Bild oben). Danach geht es weiter zum Teil an der Strasse entlang und dann wieder durch Heidelandschaft und durch Weinberge (rechts). Ich treffe irgendwann wieder auf Sabine und Julian und wir unterhalten uns kurz. Sabine ist oft sehr witzig. Wir laufen stückweise miteinander, trennen uns dann wieder um uns kurz vor Viana wieder zu treffen. Noch vor dem Mittag erreichen wir Viana und ein österreichisches Ehepaar, das wir auch schon kennen und die sogar schon von zu Hause aus losgelaufen sind, stößt auch zu uns. Gemeinsam beschliessen wir, in Viana zu bleiben und die kirchliche Herberge im Stadtzentrum anzusteuern. Da es gerade mal 11:30 Uhr ist, erleben wir die Stadt noch als munter und aktiv. Ein Kontrast zu Los Arcos und dennoch ist mir Viana gleich sehr sympathisch. Wir kommen tatsächlich in der kirchlichen Herberge unter, die sich in einem Anbau direkt an der Kirche befindet. Ein junger Amerikaner, der hier Hospitalero ist, begrüsst uns freundlich und erklärt uns alles. Oben unter dem Dach ist ein kleiner Raum, der mit ein paar Turnmatratzen ausgestattet ist - unsere Schlafstätte für die kommende Nacht (siehe unten, Dank an Sieglinde für das Foto). Das ist zwar nicht sehr komfortabel, aber dafür übersichtlich und nicht all zu warm. Sabine, Julian und ich ruhen uns ein wenig aus und unterhalten uns dabei. Das Hauptthema stellt natürlich der "Schnarcher von Los Arcos" dar, von dem die beiden Bayern nichts mitbekommen haben, weil sie in einem anderen Raum geschlafen hatten. Bei der Unterhaltung müssen wir aber oft sehr lachen und haben damit auch richtig Spaß. Was würden wir nur machen, wenn der "Schnarcher" plötzlich hier auftauchte und uns eine weitere Nacht heimsuchte?! Wir lachen nur, auch wenn bei mir doch ein wenig Angst davor vorhanden ist. Später taucht auch Sieglinde noch auf und findet einen Schlafplatz in unserem Zimmer. Im Nebenraum finden wir auch Ute und Peter aus Norddeutschland wieder. Damit ist ja unsere Truppe perfekt und wir freuen uns alle, bekannte Gesichter wiederzusehen. Wenig später gehe ich die Treppe hinunter zur Dusche, als ich plötzlich in das Gesicht von Roy blicke. Für einen Moment bin ich sprachlos, dann gehe ich auf ihn zu, umarme ihn herzlich und sage ihm gleich, wie furchtbar dankbar ich ihm bin, dass er mir in meiner Notsituation mit dem Geld geholfen hat. Mir stehen wieder Tränen in den Augen. Auch er freut sich, reagiert aber sehr bescheiden. Er erzählt mir, dass er noch immer große Probleme mit den Füßen hat und daher hier in Viana abbrechen würde um morgen nach Hause zu reisen. Ich sage ihm nur noch, dass er für mich ein Engel auf dem Weg war und er erwidert, ich sei dies für ihn gewesen. Später gebe ich ihm auch seine 20 Euro wieder, die ich extra in einer separaten Tasche meines Rucksackes aufbewahrt hatte. Das sollte das letzte Mal sein, dass ich Roy sehe, denn ein längeres Gespräch oder gar der Austausch von Adressen ergibt sich nicht mehr. Erst etwas später wird mir bewusst, was für ein seltsamer Umstand es ist, dass ich ihn ausgerechnet hier und an diesem Tag wiedersehe, kurz bevor er abreist. Wie dankbar ich dafür und für diesen Menschen bin, kann nur Gott verstehen.


Später am Nachmittag trinken Sabine und ich noch einen Kaffee in der Stadt und genießen die spanische Siesta im Schatten der alten Häuser von Viana. In der Herberge treffe ich eine Pilgerin aus den USA namens Rose. Mit ihr unterhalte ich mich lange über mein Dissertationsthema und sie scheint theologisch sehr interessiert zu sein. Sie selbst ist Anhängerin des universellen Unitarismus, einer Glaubensrichtung, von der ich bis dato noch nichts gehört hatte. Aber es ist interessant, mit ihr zu sprechen.

Am Abend gehen wir gemeinsam in die Messe nebenan und erhalten als Pilger wieder einen besonderen Segen. Danach haben die Hospitaleros ein leckeres Essen zubereitet, zu dem wir herzlich eingeladen sind. Viele Nationen sind am Tisch vertreten und der Umgang ist herzlich. Man fühlt sich einfach gut aufgehoben.

Leider ist die Stimmung auch etwas traurig, denn mein Plan für den morgigen Tag sieht vor, nur eine ganz kurze Etappe zu machen und bis Logrono zu laufen, während Sabine, Julian und die anderen bis Navarrete laufen wollen. Das bedeutet also Abschied nehmen. Insbesondere von Sabine und Julian fällt mir das schwer, denn die beiden sind mir nun mittlerweile ans Herz gewachsen. Die Gefühle beim Einschlafen sind also zweischneidig. Einerseits Freude über einen der schönsten Tage auf dem Camino bisher und andererseits Trauer, weil so frisch gewonnene Freunde schon wieder weg sein werden.