Sonntag, 7. Oktober 2007

Von Bayonne nach St-Jean-Pied-de-Port - Ankunft am Jakobsweg

Es ist Montag, der 23. Juli 2007. Ich sitze am Bahnhof von Bayonne und warte, dass mich der Zug zu meinem Startort St-Jean-Pied-de-Port am Fuße der Pyrenäen bringt. Noch einmal geht mir meine Anreise über Paris durch Frankreich durch den Kopf und ich denke nur, dass das ein reines Stresserlebnis war. Ich freue mich nun darauf, nach St-Jean zu kommen und am Beginn meines Jakobsweges zu stehen. Das Wetter ist nach einem heftigen Regenguss von eben wieder schön. Neben mich hat sich eine junge Frau auf die Bahnhofsbank gesetzt; sie ist etwa in meinem Alter. Neben ihr steht ein großer Rucksack, der meinem nicht ganz unähnlich ist und so denke ich mir, dass es sich bei ihr auch um eine Pilgerin handelt. Ich traue mich aber nicht, sie anzusprechen. Plötzlich holt sie ein mir seltsam bekanntes rotes Buch hervor und beginnt darin zu blättern. Es ist der gleiche Wanderführer, den ich auch habe - der Rother Wanderführer zum spanischen Jakobsweg, nur ihrer ist in Englisch. 'Hmm,' denke ich mir 'das ist also wirklich eine Pilgerin!' Kurze Zeit später fällt mir auf, dass einer ihrer Schnürsenkel offen ist und ich weise sie freundlich darauf hin. Sie bedankt sich.

Wenige Augenblicke später sitze ich im Zug, der sehr leer ist. Die Mitpilgerin sitzt in einem anderen Wagen, aber neben mir auf der anderen Seite des Wagens sitzt wohl noch ein Pilger, denn er hat ebenfalls einen dicken Rucksack und einen Strohhut dabei. Der Zug setzt sich in Bewegung und wir verlassen Bayonne. Schon kurz darauf fahren wir durch wilde Natur und ich bin erstaunt, wie schnell sich die Landschaft in kurzer Zeit verändern kann. Auf einmal erheben sich majestätisch neben uns hohe Berge, die anfangs noch wie Samthügel mit saftig grüner Wiese überzogen sind und später dann mit dunklen Wäldern bedeckt sind. Wir rattern mit unserem kleinen Zug durch diese ehrfurchtsvolle Landschaft ganz gemütlich, durchqueren das ein oder andere Tunnel und fahren mithin an einem reissenden Bergfluss entlang. Hin und wieder tauchen Schaf- und Kuhherden auf. Alles wirkt so entspannend und lässt mich den Stress und die Ungemütlichkeit von Paris Montparnasse vergessen. Die Sonne scheint in unseren kleinen Pilgerexpress hinein und meine Gedanken schweifen ab zu den Bergen, die sich mir zeigen. Mit Ehrfurcht und Respekt schaue ich zu diesen Schönheiten der Natur hinauf und merke doch, dass ich Lust und Motivation verspüre, schon morgen durch diese Berge zu wandern. Natürlich denke ich mir auch, dass es wohl anstrengend werden kann, aber im Moment möchte ich da eigentlich gerne hoch.

Nach gut einer Stunde Fahrt erreichen wir den kleinen Bahnhof von St-Jean-Pied-de-Port. Wieder kommt etwas Angst auf, wie es jetzt weitergeht. Die Sonne scheint aber noch immer, ja es ist sogar recht warm und vor uns liegt das beschauliche St-Jean. Ich steige aus und sehe, dass auch der Pilger neben mir aussteigt und weiter hinten auch die Mitpilgerin vom Bahnhof. Ich denke mir, dass ich wohl jetzt mal eine Herberge zwecks Übernachtung ansteuern muss. Die anderen beiden tun dasselbe und schon kommen wir das erste Mal kurz ins Gespräch. Ich stelle fest, dass der Pilger neben mir aus Italien kommt, die Banknachbarin vom Bahnhof lerne ich nicht näher kennen. Nach einigem Fragen und Umherlaufen betreten wir die Altstadt von St-Jean und ich fühle mich trotz der vielen Leute hier gleich richtig wohl. Es gibt hier kleine Gässchen, alte Häuser, alte mittelalterliche Stadtmauern und über all dem thront hoch oben die Zitadelle von St-Jean. Wir drei gehen nun schon eine Weile gemeinsam, halten aber immernoch ziemliche Distanz zueinander. Wir treffen am Pilgerbüro ein und dort verlieren wir uns dann. Eine freundliche ältere Dame bittet mich, einige Statistiken auszufüllen, gibt mir meinen ersten Stempel in meinen Pilgerpass, versorgt mich mit einigen Informationen zu den bevorstehenden Etappen des Weges und weist mir eine Herberge zum Schlafen zu. Ich begebe mich also zu dieser Herberge, die direkt unterhalb der Zitadelle liegt. Eine andere ältere Dame namens Madame Janine empfängt mich und weist mir ein Bett zu. Zuerst wirkt sie etwas garstig, aber das liegt vielmehr an meinem schlechten Französisch. Ich begebe mich in den untersten Stock in unser Zimmer. Es stehen sechs Betten darin, davon sind drei schon besetzt mit zwei älteren Französinnen, die aussehen, als wären sie Schwestern und unter mir liegt ein junger Engländer. Wir vier kommen etwas ins Gespräch und so bilden sich erste wohltuende Kontakte heraus. Die beiden Französinnen sind keine Schwestern, aber gute Freundinnen, die nur die Etappe nach Roncesvalles gehen wollen. Außerdem fühlen sie sich wohl meinem schlechten Französisch pädagogisch verpflichtet und weisen mich freundlich immer wieder auf meine Fehler hin. Der junge Engländer kommt aus London, heisst Alex und will auch bis nach Santiago, ist aber nach der Anreise ziemlich müde und schläft bald ein. Ich gehe mich erstmal duschen, denn der Schmutz von Paris hängt mir noch an. Dann mache ich mich auf den Weg, St-Jean zu erkunden und noch einige Dinge einzukaufen, die ich brauche. St-Jean ist wirklich bildschön, man fühlt sich fast wie im Mittelalter und abends, wenn all die Touristen weg sind, ist es noch schöner. In einem Geschäft kurz vor dem Port d'Espagne, durch welches ich morgen meinen Weg beginnen werde, finde ich einen schönen Pilgerstab, der durch seine Schlichtheit überzeugt. Es ist ein einfacher Stock mit Metallspitze, einem Lederbändchen und einer kleinen eingravierten Jakobsmuschel. Ein richtiges Exemplar einer Jakobsmuschel finde ich wenig später noch in einem anderen Laden. Die hänge ich mir als sichtbares Zeichen meiner Pilgerschaft an den Rucksack. In den kleinen Lebensmittelläden, die noch sehr handwerklich und provinziell gemütlich sind, versorge ich mich mit lokalem Käse, ein wenig Wurst und Obst für die morgige Etappe.

Am Abend dann sitze ich gemütlich im Garten der Herberge mit tollem Blick auf das unter mir liegende St-Jean, geniesse mein Abendessen und komme so richtig an am Jakobsweg. Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und Zufriedenheit umgibt mich. Ich merke, dass mich Gott hier in St-Jean am Bahnhof abgeholt hat und mich versorgt. Es geht mir gut und morgen werde ich auf den Jakobsweg aufbrechen. Vorher aber treffe ich noch auf einen netten älteren Herrn aus Aachen, der als Radpilger unterwegs ist und sich zum Abendessen an den Gartentisch gesellt. Wir reden lange miteinander, sprechen über die Gründe für unsere Reise, er über seine Erfahrungen, ich über meine Erwartungen. Er gibt mir viele hilfreiche Tipps und ich fühle mich nun wirklich nicht mehr allein. Kurz vor dem Schlafengehen steige ich noch einmal auf zur Zitadelle, geniesse die warme Abendsonne und blicke erwartungsvoll in Richtung der Berge, die förmlich auf mich warten. Ich danke Gott für eine beschützte Anreise und gehe zurück zur Herberge um zu schlafen.