Freitag, 5. Oktober 2007

Von Bayreuth nach Bayonne - Anreise zum Jakobsweg

Es ist Sonntag, der 22. Juli 2007. Vor mir steht mein Rucksack, vollgepackt mit meinen Sachen, an der Seite die Isomatte und oben draufgeschnallt mein Schlafsack. Die ganze Sache wiegt nun an der Federwaage fast 13 kg und ich denke mir, dass es vielleicht doch zu schwer sein könnte, kann aber auf nichts mehr verzichten. Um meinen Bauch ist die Bauchtasche geschnallt mit den Reisedokumenten und den Dingen, die ich am Flughafen in Nürnberg nicht aufgeben möchte. Ich schnalle meinen Rucksack auf und laufe in meinen globigen Wanderschuhen, die zur Hälfte von den Jeans bedeckt sind in die Küche. Ich kann es mir nicht verkneifen, meiner Mitbewohnerin dort an der Küchentafel einen kleinen Abschiedsgruß zu hinterlassen: "Ich bin dann mal weg...".
Ich verlasse die Wohnung mit dem bewussten Gedanken, sie in den nächsten sechs Wochen nicht wiederzusehen. 'Wie wird das wohl sein, wenn ich wiederkomme?' denke ich mir. 'Was wird mich in der nächsten Zeit erwarten? Wo werde ich heute Nacht schlafen?' All diese Gedanken bereiten mir ein mulmiges Gefühl im Bauch. Ich habe Angst. Es ist vor allem die Unsicherheit über das was kommen mag, das mir Angst macht. Wie schön wäre es, wenn jetzt jemand bei mir wäre, Freunde oder meine Eltern. Und doch, es ist auch wieder gut, dass ich allein bin, denn ich muss da jetzt durch. Die Idee ist in mir allein gewachsen, ich werde allein den Jakobsweg gehen, also verlasse ich jetzt auch allein Bayreuth.
Im Zug nach Nürnberg rauscht die oberfränkische Landschaft bei schönem Wetter an mir vorbei und ich denke mir, dass es hier doch auch schön ist. In mir kommt fast schon eine Art Endzeitstimmung auf und das führt dazu, dass ich alles sehr zufrieden und bewusst wahrnehme. In Nürnberg am Hauptbahnhof klingelt mein Handy: meine Eltern rufen mich an und dafür bin ich sehr dankbar. Ich kann jetzt ein paar nette Worte gebrauchen und außerdem kann ich so gleich nachfragen, mit welcher U-Bahn ich am besten zum Flughafen komme. Alles klappt prima.
Am Flughafen gehe ich zu meinem Schalter, muss nicht lange warten und bekomme meine Bordkarte. Die Frau verlangt aber irgendwie doch etwas barsch, dass ich die Schlaufen meines Rucksackes besser zusammenbinden soll. Da mir das nicht gelingt, schickt sie mich zum Schalter für Sperrgepäck. Dort wird mein Rucksack durchleuchtet und ich werde gefragt, was für ein großer seltsamer metallener Gegenstand das da drinnen sei. Ich weiss im Moment selbst nicht, was die meinen, öffne meinen Rucksack und hole dann einen Beutel nach dem anderen raus. Da plötzlich fällt mir ein was die meinen: mein Kompass. Naja, gut, ist wirklich ein Riesenteil - ein Schiffskompass den ich seinerzeit in Holland gekauft und aufgrund seines Alters liebgewonnen habe. In dem Moment am Flughafen aber denke ich mir, wie doof, so ein Riesenteil mitzunehmen, aber wer weiss, vielleicht brauche ich ihn noch. Die Beamten sind zufrieden, aber auch irgendwie beeindruckt. Ich packe zusammen und verlasse, nahezu gepäcklos, den Schalter.

Dann klingelt wieder das Handy und ich freue mich, wieder mit meinen Eltern reden zu können. So kann ich meine Ängste aber auch Hoffnungen loswerden, Nervosität abbauen. Dann heisst es Abschied nehmen, denn der Abflug naht heran. Es fällt uns allen schwer.


Der Flug verläuft gut, keine Zwischenfälle, keine nervigen Sitznachbarn, ganz im Gegenteil, eine ganze Reihe für mich.

Gegen 20 Uhr landen wir in Paris Charles de Gaulle. Ich bekomme meinen Rucksack wieder - alles noch dran und nichts kaputt. Ich überlege mir, in welchem Terminal ich schlafen kann, denn mein Zug geht erst am Morgen um 7:15 Uhr. Der Flughafen ist voll mit Leuten, es herrscht nervende Betriebsamkeit. Ich gehe in das Abflugsterminal, dort ist es ruhiger aber es herrscht eine nüchterne Kühle. Irgendwann gegen 21 Uhr sitze ich in einem Wartesaal und bekomme so in der Entfernung und gefiltert durch mein eingerostetes Französisch mit, dass der Flughafen wohl nachts schliesst. Ich bin unschlüssig, was ich machen soll, denn ich dachte der Bahnhof macht auch nachts zu. Wo soll ich denn die Nacht verbringen? Dann fällt mir ein, dass ich morgen ja in aller Frühe mit dem Zug in die Stadt fahren muss und ich bin mir nicht sicher, ob die Fahrkartenschalter dann schon geöffnet sind. Die Automaten nehmen irgendwie nur Kreditkarten. Also gehe ich an den Schalter und kaufe ein Ticket. Mit meinem schlechten Französisch frage ich, ob das Ticket auch am nächsten Morgen noch gelte, doch der Typ dort will mich wohl nicht verstehen und sagt dann immer nur noch "Non!". Mist, also steige ich doch jetzt besser in den Zug und bin dann wenigstens schon mal am Bahnhof.

Der Zug bringt mich in die Innenstadt. Ich bin schrecklich müde, aber es ist um mich immer noch sehr hektisch. Irgendwie komme ich dann per U-Bahn zum Bahnhof Montparnasse, der schlicht hässlich ist. Ich bleibe einfach auf einer Bank, auf der man aber nicht liegen kann. Um mich sind noch drei Leute verstreut und das beruhigt mich. Irgendwann wird es sehr still im Bahnhof, teilweise gehen auch die Lichter aus - es ist schon fast unheimlich, aber ich bin noch immer nicht allein. Mein Kopf sinkt immer wieder auf meinen Rucksack und ich döse für einige Minuten weg. Gegen 6 Uhr tun mir alle Knochen weh, aber es ist fast überstanden und man hat uns nicht aus dem Bahnhof geschmissen. Ich brauche etwas frische Luft und gehe vor den Bahnhof. Unten bei den Lüftungsschächten laufen bestimmt fünf Ratten herum, es regnet leicht und alles wirkt total hässlich. Ich bin ziemlich genervt.
Um 7 Uhr steige ich in den TGV ein, den ich mir viel komfortabler vorgestellt habe. Neben mir sitzt ein Franzose, mit dem ich ganz kurz ins Gespräch komme, aber meine Sprachkenntnisse sind schrecklich und ich ärgere mich darüber. Fünf Jahre Französisch in der Schule und was bleibt davon - sehr sehr wenig. Die Zugfahrt ist angenehm ruhig und dauert fast fünf Stunden. Den ganzen Tag regnet es und Frankreich wirkt trist und grau. Als wir in Bayonne ankommen und ich aussteige, wünscht mir der Franzose noch einen schönen Tag. Ich erwidere und denke mir, dass ich wirklich einen schönen Tag brauchen kann. Jetzt muss ich aber noch zwei Stunden warten, bis der Zug von Bayonne zu meinem Startort St-Jean-Pied-de-Port abfährt. Nach all dem Stress bisher, sehne ich den Jakobsweg nun fast schon herbei. Die Unsicherheit ist aber immer noch da und mittlerweile kommt eine Gewissheit hinzu: all meine Freunde, Familie, meine vertraute Umgebung sind viele viele Kilometer entfernt und ich bin hier ganz allein.