Donnerstag, 21. August 2008

Zweiter Tag in Santiago de Compostela

Es ist Dienstag, der 28. August 2007.

Heute bin ich den zweiten Tag in Santiago und es stehen keine Kilometer Wegstrecke auf dem Plan. Dieser Tag gehört ganz dieser wunderschönen Stadt. Morgens ist es zwar leicht bewölkt, aber das stört mich nicht. Um 8:30 Uhr mache ich gleich einen Spaziergang zur Kathedrale. Um diese Zeit ist die Stadt noch recht ruhig und auch in der Kirche sind nur wenige Leute, so dass ich die Gelegenheit nutze, um mir alles noch einmal ganz in Ruhe und in Besinnlichkeit anzusehen. Auch das Grab des Apostels besuche ich noch einmal und heute morgen gibt es keine Schlange von Leuten, die dort ebenfalls hin wollen. Also knie ich mich eine Weile vor den etwas entfernt und geschützt stehenden Silberschrein und spreche ein leises Gebet. Danach ist es dann endgültig in mir durchgedrungen, dass mein Pilgerdasein im engeren Sinne nun ein Ende hat. Der Pilgerweg ist absolviert und nunmehr zu Ende.
Den Vormittag verbringe ich ganz gemütlich in den Gassen der Altstadt; ich genieße mein spanisches Frühstück in einem kleinen Café, schreibe ein paar Karten an Freunde (unter anderem auch an die sechs Dänen vom Beginn meiner Reise, denn ich hatte ihnen dies versprochen), gehe durch ein paar Läden bummeln und kaufe ein paar Souvenirs ein. Außerdem trete ich dann endlich meinen Gang zum Barbier an, denn der Pilgerbart muss nun wirklich runter. Antonio, der Frisör, der mich bedient, versteht sein Handwerk und ich habe mich noch nie so gut nach einer Rasur gefühlt. Gut eine Stunde vor Mittag gehe ich wiederum zur Kathedrale, die nun so langsam zu meinem Wohnzimmer hier in Santiago wird. In der Tat gehört sie neben der St. Paul's Cathedral in London, Canterbury Cathedral, dem Stephansdom in Wien und der Frauenkirche in Dresden zu den Gotteshäusern, die mich am meisten faszinieren. Es ist immer fast als würde man eine andere Welt betreten, wenn man in diesen wahrlich heiligen Raum kommt. Der Hintergrund dieses Besuches ist aber, dass ich mir einen guten Platz für die heutige Pilgermesse sichern möchte. Dies gelingt auch und ich sitze nur wenige Meter vom Altarraum entfernt im Mittelschiff und habe freien Blick auf die Priester und das riesige Weihrauchfass, Botafumeiro genannt, welches am Ende der Messe von mehreren Kirchendienern hereingetragen wird und dann von fünf bis sechs Leuten an einem festen Tau in der Vierung nach oben gezogen und durch das Querschiff geschwungen wird. Mein Wanderführer sagt, diese Praxis gehe auf das Mittelalter zurück, da die Pilger damals bei ihrer Ankunft und dem Besuch der Messe doch recht stark rochen und man mit dem Weihrauch diesen Geruch übertünchen wollte. Offensichtlich haben in der Vergangenheit manche Kirchendiener auch etwas zu engagiert geschwenkt, denn der Botafumeiro ist wohl schon ein paar Mal aus der Kirche geflogen. Dies passiert aber heute nicht. Wenngleich diese Pilgermesse zum Teil sehr touristisch anmutet, so hat sie auch eine unglaublich verbindende und gemeinschaftsbildende Wirkung und bleibt trotz der erhabenen Feierlichkeit doch auch irgendwie jung und ansprechend.


Nach der Pilgermesse flaniere ich noch einmal über den Praza do Obradoiro um vielleicht noch ein paar bekannte Gesichter zu sehen, aber auch um dieses schöne Flair der ankommenden, erleichterten und glücklichen Pilger zu erleben. Da treffe ich plötzlich auf Thomas und Clare, die beiden Engländer, die ich seit dem Kloster Samos nicht mehr gesehen hatte. Was für eine Freude! Wir fallen uns in die Arme und haben uns gleich so viel zu erzählen. Für den späten Nachmittag verabreden wir uns zu einem Drink und wollen dann alle unsere Erfahrungen noch austauschen.
Ich habe mir nun erst einmal vorgenommen, das Kathedralmuseum zu besuchen und somit verschwinde ich für die nächsten drei Stunden hinter den Kirchenmauern und erfahre viel über die Geschichte der Kathedrale, Santiagos und den Pilgerweg.



Dann schließlich treffe ich mich noch einmal mit Clare und Thomas und wir reden lange miteinander. Es ist so schön, die beiden hier zu treffen, Freunde, die ich gerne hier am Ziel wiedersehe und mit denen man sich gut austauschen kann. Im Gespräch kommen wir auch darauf, dass es für spanische Pilger in der Regel eine Tradition ist, nach Beendigung des Pilgerweges eine Mariscada in Santiago zum Abendessen zu bestellen. Dies ist eine üppig befüllte Platte mit allerlei Meeresfrüchten. Auch ich würde dies gern probieren und da Thomas und Clare sich ebenso dafür interessieren, beschließen wir, auch noch gemeinsam zu Abend zu essen (eine Mariscada wird zumeist nur ab 2 Personen serviert und mir wird durch ihre Gesellschaft dieses Vergnügen also gegönnt). In einem der vielen Fischrestaurants in den Gassen Santiagos lassen wir uns also nieder und verköstigen herrliche galizische Meeresfrüchtespezialitäten von Krebsen über Languste bis hin zur Jakobsmuschel und anderen Leckereien. Ein wahres Schlemmerfest ist es und Gott sei Dank hat Thomas bereits etwas Erfahrung im Umgang mit dem entsprechenden Esswerkzeug, so dass wir uns nicht völlig blamieren. Mitunter geht es doch recht handwerklich zu beim Verspeisen von Schalentieren, nicht ohne dabei die Kellner zu erheitern. Zum Abschluss gibt es als Dessert Tarte de Santiago in Portwein. Zwar ist dieses Abendessen doch etwas teurer, aber vor allem in so netter Gesellschaft rundet es diesen Tag und diese Pilgerreise angemessen ab.
Leider heisst es dann auch schon wieder Abschied nehmen, denn morgen breche ich wieder auf und die beiden Engländer fliegen kurz danach auch wieder nach Hause. Während auf sie allerdings der Alltag wartet, lasse ich Santiago nur einige Kilometer hinter mir und werde morgen die erste Etappe einer weiteren Reise antreten: es geht weiter auf dem Jakobsweg bis zum Ende der Welt, nach Finisterre am Atlantik.