Mittwoch, 14. Mai 2008

Etappe 15: Von Burgos nach Hornillos del Camino

Es ist Dienstag, der 7. August 2007.

Am nächsten Morgen verlasse ich erst gegen 8 Uhr mein Pensionszimmer, im Vergleich zu den vorherigen Tagen war dies also richtiges Ausschlafen. Wieder bepackt mit meinem Pilgergepäck mache ich mich auf den Weg durch die Altstadt von Burgos, vorbei an der Kathdrale in Richtung Stadtrand. Es ist erstaunlich, aber die Stadt wirkt auch um diese Zeit noch total verschlafen und ist sehr still. Ich beschwere mich darüber nicht, denn das erleichtert mir die Orientierung um auf dem richtigen Weg zu bleiben. Nach einer Weile komme ich durch eine Art Park und erkenne, dass sich hier die große kommunale Herberge befindet und hier scheinen sich einige Radpilger auch gerade auf den Weg zu machen. Schon kurz nach diesem Park ist das Ende der Stadt Burgos erreicht. Ich bin erleichtert, dass mir beim Wandern aus der Stadt ein nochmaliges Industriegebiet erspart bleibt. Stattdessen finde ich mich nun in vorstädtischer Landschaft wieder, die zwar auch nicht besonders sehenswert ist, aber besser als gestern. Es scheinen wenige Pilger unterwegs zu sein, nur ein paar Radpilger überholen mich einmal. Sonst ist weit und breit niemand zu sehen. Das weckt in mir die Hoffnung, dass nun vielleicht die Jagd auf Herbergsplätze beendet ist. Hinter dem Vorort Villalbilla de Burgos geht es dann wieder recht natürlich zu, mit weiten und hügeligen Getreidefeldern. Das Wetter hat seit unserem Einzug in Burgos scheinbar wirklich umgeschlagen, denn auch heute ist es trüb und bewölkt, ein recht kalter Wind pfeift mir ins Gesicht und zwingt mich sogar dazu, meinen Pullover auszupacken und anzuziehen. Ausgerechnet hier in den Mesetas, denen man im Sommer Temperaturen von bis zu 40 °C nachsagt. Aber auch darüber beschwere ich mich nicht, denn dieses kühle Wetter ist mir lieber als brütende Hitze. Mir schmerzen die Beine, denn das lange Laufen gestern nach Burgos und in Burgos stecken in den Knochen. Auch fällt mir das Alleinsein schwer und oft muss ich an meine deutschen Mitpilger denken. Fast schon widerwillig kämpfe ich mich nun also durch diese Hochebene und weiss schon, dass ich heute nur bis Hornillos laufe. Das sind zwar nur 20 km Tagesstrecke, aber erstens habe ich viel Zeit und zweitens will ich heute einfach nicht weiter. Ich gebe zu, ich bin ein wenig ningelig und will am liebsten niemanden sehen oder sprechen.
Als ich auf der Höhe einer Hochebene mit weitem Ausblick auf Hornillos del Camino pausiere, höre ich einen singenden Asiaten mit seiner Frau ankommen. Der Mann singt schrecklich falsch aber dafür laut und will damit wohl von seiner Anstrengung ablenken, denn so sieht er aus. 'Mann, jetzt auch noch ein singender Koreaner!' denke ich mir und hoffe insgeheim, dass er schnell weiterzieht und ja nicht in der Herberge von Hornillos bleibt. Nachdem der Herr ein wenig Abstand gewonnen hat, mache ich mich auch wieder auf den Weg und wandere weiter. Das Ziel ist ja schon zu sehen. Als ich in den Ort komme, lacht mein Herz, denn ich sehe Berith und Konstanze, die beiden Thüringer Mädels, die ich aus Puente la Reina kenne. Es tut so gut, wieder vertraute Gesichter zu sehen, vor allem da nun scheinbar komplett andere Leute den Weg gehen, Leute, die ich vorher zum Teil noch nicht gesehen hatte. Berith und Konstanze erzählen mir, dass sie noch weiter bis Hontanas laufen wollen, aber für mich ist heute hier definitiv Schluss. Dann entdecke ich auch Rose, die Unitarierin aus Viana, die es sich auf einer Bank gemütlich gemacht hat. Nachdem Berith und Konstanze weitergehen, unterhalte ich mich noch ein wenig mit Rose, die mir erzählt auch in der Herberge hier zu sein. Sie gibt mir den Rat, mich aber zu beeilen, da die Herberge wohl bald voll sei. Also mache ich mich geschwind auf den Weg um die Ecke zur Herberge. Auf dem Weg werfe ich dann auch gleich meine Hoffnung auf das Ende der Herbergsjagd in den Mesetas über Bord. Als ich um die Ecke biege, fällt mein Blick auf zwei weitere bekannte Gesichter: die beiden netten Niederländer, die nach Neuseeland ausgewandert waren und die ich in Belorado das erste Mal traf, grüßten mich herzlich. Welch ein Berg-und-Tal an Gefühlen, einmal traurig, weil ich wieder allein war, dann wieder happy, bekannte Leute zu sehen, dann wieder traurig wegen den immer noch überfüllten Herbergen und dann wieder glücklich, nette Bekannte wieder zu sehen.
Wie auch immer, ich habe Glück und erwische noch ein Bett, wenngleich es an einer Terrassentür steht, durch die es heftig zieht (wieder irgendwie ein Tal). Dann lerne ich zwei Schweizer kennen, die auch ganz nett zu sein scheinen (ein Berg) doch als ich die Duschen benutzen will hat man mehr Glück einen Lottogewinn zu machen, als wenigstens 30 Sekunden lang warmes Wasser abzubekommen (ein tiefes tiefes Tal). Mit anderen Worten, ich habe die Nase so richtig voll und merke gerade, dass mir der Spass am Pilgern, den ich bisher überwiegend hatte, verloren geht. Andererseits finde ich es auch gut, solche Rückschläge zu erleiden, denn immerhin kann diese Pilgerreise keine andauernde Luxustour sein, nein, ich muss auch an solche Grenzen stoßen.
Am Abend kaufe ich ein paar Lebensmittel im örtlichen Laden und lade Rose ein, mit mir gemeinsam zu essen. Ich schlage daher die Einladung der Niederländer aus, mit ihnen ein Pilgermenü einzunehmen. Nach dem Essen setze ich mich noch ein wenig nach draussen in die Sonne. Da setzt sich ein komischer Pilger auf die Bank neben mich und babbelt die ganze Zeit auf französisch mit sich selbst. Ja, es scheint als habe er einen imaginären Mitpilger, mit dem er sich auseinandersetze. Da fällt mir auf, dass ich demselben Mann eben schon beim Einkaufen auf der Straße begegnet war. Da hatte er sich angeregt mit dem Gullideckel in der Straßendecke unterhalten. Damit ist der Tag wirklich perfekt und für mich steht fest, dass ich morgen so schnell wie möglich hier weg will und noch schneller durch die elenden Mesetas kommen möchte.