Sonntag, 17. August 2008

Etappe 32: Von Ligonde nach Mélide

Es ist Freitag, der 24. August 2007.

Als die ersten Pilger am Morgen wach werden und ihre Sachen packen, merke ich erst, wie gut ich geschlafen habe. Es fällt mir schon schwer, aufzustehen. Danach frühstücken wir noch gemeinsam und dann gilt es leider Abschied zu nehmen, was uns allen sichtlich schwer fällt.
In der einsetzenden Morgendämmerung begeben sich Elisabeth und ich wieder auf den Weg, passieren die kleine Kirche des Nachbarortes Areixe und dann geht es ähnlich wie gestern weiter auf kleinen Wegen quer durch die galizische Landschaft mit ihren vielen winzigen Siedlungen. Auf dem Weg trifft man nun auch immer häufiger auf die für diese Region typischen Horreos, alte Getreidespeicher, die meist auf einem Sockel stehend aussehen, als wären sie kleine Kapellen.
In Palas de Rei nehmen wir unser Frühstück ein und kaufen noch ein wenig Proviant für unterwegs. Danach zieht sich der Weg wieder angenehm weiter durch die grüne Landschaft und die Nähe zum Meer wird nun deutlicher, denn unterwegs treffen wir bereits das eine oder andere Mal auf Palmen und andere eher exotische Pflanzen in den Vorgärten von Häusern.
Als wir uns gegen Mittag dann der Stadt Mélide nähern, ist es wieder sehr warm und ich bin doch auch ziemlich erschöpft. Gleichzeitig wächst in mir auch die Angst um die Herbergsplätze. Da wir uns nun auf den letzten hundert Kilometern vor Santiago de Compostela befinden, ist es unausweichlich, dass immer mehr Pilger unterwegs sind. Entsprechend knapp sind auch die Plätze in den Herbergen. Da offenbar der Jakobsweg in den letzten Jahren auch stetig an Popularität gewonnen hat, hat die Zahl der Pilger auch enorm zugenommen und viele Herbergen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Außerdem fällt mir auf, dass es hier in Galizien viel weniger private Herbergen gibt und somit nur die offiziell galizischen Herbergen bleiben.


Als wir die Herberge in Mélide erreichen, wird mir zum ersten Mal deutlich, wie dieses Problem praktisch aussieht. Obwohl Elisabeth und ich nicht spät ankommen, sitzen bereits einige Pilger vor der Herberge und warten auf deren Öffnung. Es werden dann auch schnell mehr, doch wir bekommen einen Platz. Es wird aber auch deutlich, welch ein Kontrast zu unserer gestrigen Unterkunft besteht. Hier geht alles wie am Fließband, der Ton ist rauh und obwohl alles einigermaßen sauber ist, mangelt es an heißem Wasser. Hier sind es schließlich auch schon 130 Betten und nicht mehr nur zehn, wie gestern. Hinzu kommt, dass in der Luft ein etwas beißender oder benebelnder Geruch von Desinfektionsmittel hängt, der zwar einerseits beruhigt in der Hoffnung, es wurde nicht nur als Raumspray benutzt, sondern auch zum Putzen. Andererseits aber hat das nun so gar nichts mit Pilgerromantik zu tun. Dennoch bin ich dankbar, einen Schlafplatz bekommen zu haben.


Nach einer Stärkung und etwas Ruhe, erkunden ich mit Elisabeth ein wenig die Stadt. Hier geht es sehr hektisch zu. Es herrscht reger Autoverkehr und viele Leute sind unterwegs. Da unser Wanderführer Mélide als ein bekanntes Zentrum des Pulpo Gallego ausmacht, nehmen wir uns vor, hier eine Pulperia aufzusuchen und ihn zu probieren. Der Pulpo Gallego ist die regionale Spezialität Galiziens – gekochter Krake, der in dafür bestimmten Restaurants – Pulperia – zubereitet und serviert wird. Dabei wird der Octopus in einen kochenden Sud gegeben, anschließend mit einer Schere zerschnitten und mit grobem Salz und scharfem Paprikapulver bestreut und mit einer Marinade aus Essig, Öl und Kochsud übergossen. Dazu nehmen wir spanischen Rotwein und ein wenig Weißbrot. Sicher sieht es etwas barbarisch aus, wie das Tier zerschnitten wird und auch an die Saugnäpfe auf dem Teller muss man sich gewöhnen, aber es schmeckt ganz hervorragend. Kurze Zeit später gesellt sich ein Spanier namens Antonio zu uns an den Tisch und bietet uns von seinem Rotwein an. Daraus entwickelt sich dann ein abendfüllendes Gespräch über die unterschiedlichsten Themen. Die ist eine linguistische Meisterleistung, denn Antonio spricht kein Deutsch und wir beide nur wenige Brocken Spanisch. Dennoch schaffen wir es, uns recht gut zu verständigen, wobei der Erfolg vielleicht auch dem Wein geschuldet ist. Es ist zwar anstrengend, so den ganzen Abend nach den passenden Worten zu ringen und sich mit Händen und Füßen zu verständigen und dies in einem doch recht lautstarken Restaurant, aber die daraus resultierende Gemeinschaft tröstet über so manche Enttäuschung in der Herberge hinweg und so findet der Tag doch einen recht angenehmen Ausklang.