Montag, 18. August 2008

Etappe 33: Von Mélide nach Arzúa

Es ist Samstag, der 25. August 2007.

Als wir an diesem Morgen aufbrechen bin ich ganz froh, die Sterilität und Unpersönlichkeit der Herberge hinter uns zu lassen und freue mich nun wieder auf die Natur und ihre individuelle Wahrnehmung. Dank Elisabeths Grubenlampe kommen wir auch im Dunkeln recht gut voran. Das Wetter ist nun wieder sehr schön und die Morgenluft erfrischt mich wieder. Der Weg führt weiter durch die nun mittlerweile vertraute galizische Landschaft. Immer wieder gibt es Maisfelder, durch die der Weg führt aber zunehmend treffen wir nun auch auf Eukalyptuswälder. Diese sind ein ganz besonderes Erlebnis. Meist sind die Bäume nur noch an den Wipfeln belaubt während ihre Stämme silbern glänzen und dabei aber die äußersten Schichten der Rinde wie Hautfetzen herabhängen. Damit sind sie nicht unbedingt die schönsten Bäume, sie wirken ein wenig, als hätten sie Sonnenbrand und nun würde sich die alte Haut abschälen. Dieser Eindruck macht sie auch etwas geheimnisvoll. Ganz bezaubernd ist aber der Geruch, der von ihnen ausgeht. An manchen Stellen riecht es recht stark nach Eukalyptus, fast so als hätte Mutter Natur ein großes Erkältungsbad mit entsprechendem Badezusatz eingelassen. Hier kann man sozusagen die Gesundheit riechen. Ich nehme mir ein Blatt ab und reibe es etwas zwischen den Fingern, die nun auch leicht nach Eukalyptus riechen. Da die abgeschälte Rinde mit der Zeit zu Boden fällt, ist der Untergrund, auf dem unsere Pilgerfüße wandern, recht weich.



Gedanklich kann ich mich – abgesehen von diesen Besonderheiten der Natur – nur noch wenig auf den Weg als Pilgerweg konzentrieren. Dafür belastet mich die Situation in den Herbergen zu sehr. Ich erfahre dabei, dass ich nicht für die Wildnis geschaffen bin, das heißt, ich brauche einfach mein Bett und meine Dusche. Immer wieder habe ich unterwegs Pilger getroffen, denen es nichts ausgemacht hat, im Freien zu übernachten. Sie hätten wohl auf diesen letzten Etappen keine Probleme, aber mich nimmt diese Angst um Herbergsplätze nun ein Stück gefangen. Darüber ärgere ich mich, auch weil es einmal mehr beweist, wie wenig Vertrauen ich in Gott habe, der für alles sorgt, was ich brauche. Der Wunsch, alles zu kontrollieren, zu planen und zu organisieren, ist einfach zu groß. Um also das Risiko so weit wie möglich zu minimieren und Unsicherheiten auszuschließen, plane ich immer alles genau, stelle mir dabei aber selbst Grenzen auf, die mich auch blockieren. Mir fällt die Stelle in der Bibel ein, in der gesagt wird, dass wir durch unsere Sorgen unser Leben doch auch nicht um ein einziges Jahr verlängern können. Ganz im Gegenteil, durch zu viele Sorgen und Gedanken werden wir es wahrscheinlich noch eher verkürzen als verlängern. Dennoch, auch wenn die Erkenntnis in diesem Moment da ist, eine Änderung meines Denkens kann ich nicht innerhalb von wenigen Schritten herbeiführen.




Nach einer kurzen Etappe von nur 15 km erreichen Elisabeth und ich die Herberge von Arzua. Vor dem Eingang steht ein einsamer Rucksack und auf einer Bank neben der Herberge sitzt ein Spanier, der uns zu verstehen gibt, dass wir unsere Rucksäcke in einer Reihe dahinter aufstellen sollen. Damit wird die Reihenfolge der Ankunft an der Herberge angezeigt und so wird man dann auch in die Unterkunft hineingehen. Der Spanier ist recht nett und gleicht in seinem äußeren Erscheinungsbild dem Schauspieler Tony Shalhoub, der den Mister Monk in der gleichnamigen Krimiserie spielt. Daher nenne ich ihn für mich „Mr. Monk“. Sein Rat mit den Rucksäcken war jedoch sehr hilfreich, denn in der verbleibenden Zeit bis die Herberge öffnet, kommen immer mehr Pilger an und die Schlange vor der Herberge wird nun sehr lang. Man spürt auch, dass viele Leute diese Situation als unangenehm empfinden und trotzdem bleiben alle ruhig und halten sich an die Reihenfolge. Dann endlich öffnet die Unterkunft, die zwar etwas stilvoller ist, als die gestrige, aber dennoch den Eindruck der Massenabfertigung nicht ablegen kann. Der Ablauf danach bleibt dann immer der gleiche: man wird auf die Schlafsäle verteilt, man geht duschen, man wäscht seine Wäsche und hängt sie auf, danach ruht man sich aus oder isst etwas. Bald schon ist die Herberge auch voll und obwohl sich jeder im Schlafsaal wenigstens bemüht, leise zu sein, herrscht eine unterschwellige, allgegenwärtige Unruhe.
In der spätnachmittäglichen Hitze begebe ich mich noch einmal aus der Herberge die Straße hinunter, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Mehr will ich aber gar nicht von Arzúa sehen, ich bin einfach nur genervt, sehne mich jetzt nach Hause in mein eigenes Bett und mein eigenes Zimmer zurück. Es sind jetzt noch 42 km bis nach Santiago, also noch zwei Etappen und nie habe ich mir sehnlicher gewünscht, diesen Jakobsweg zu beenden als jetzt, denn ich merke, dass diese letzten Kilometer für mich reiner psychischer Stress sind.