Montag, 28. Januar 2008

Etappe 9: Von Viana nach Navarrete

Es ist Mittwoch, der 1. August 2007.

Am Morgen gegen 6 Uhr wache ich auf und da sind die meisten meiner Mitpilger bereits auf den Beinen. Leider lag auch diese Nacht wieder jemand in unserem Zimmer, der geschnarcht hat, aber weder ist es mir gelungen ihn zu identifizieren, noch war es so ohrenbetäubend, dass man gar nicht schlafen konnte. Noch etwas bedrückt ob der Tatsache, dass ich nun wieder fast allein unterwegs sein werde, packe ich meine Sachen und begebe mich nach unten um eine Kleinigkeit zu frühstücken. Dort sehe ich, dass Sieglinde aus Dresden auch noch da ist und schon geht es mir wieder besser. Gemeinsam stärken wir uns und dann brechen wir gemeinsam gegen 7 Uhr auf.

Der Weg führt uns wieder durch ebene Flächen mit vielen Weizenfeldern in Richtung Logrono. Es ist noch angenehm kühl und durch sehr schöne Gespräche mit Sieglinde vergehen die Kilometer fast wie im Fluge. Bald schon taucht in der Ferne die Stadt auf. Kurz bevor wir aber nach Logrono kommen, treffen wir auf ein kleines Haus am Wegrand, das man in etwa mit Raststation für Pilger beschreiben könnte. Drinnen sitzen eine ältere Frau und eine jüngere sowie zwei Pilger um einen mit kleinen Baguettescheiben und Marmelade gedeckten Tisch und laden uns zu Kaffee und einer kleinen Stärkung ein. Es handelt sich dabei um eine traditionsreiche "Institution". Früher wurde diese kleine Raststation von Dona Felisa geleitet, die den Pilgern einen schönen Stempel in den Pass drückte. Da Dona Felisa 2003 gestorben ist, führt nun ihre Tochter diese Tradition weiter. Bei dieser Gelegenheit treffen wir auch auf Berit und Konstanze, die beiden jungen Damen, die ich auch in Puente la Reina schon kennengelernt hatte. Gemeinsam stärken wir uns ein wenig und empfangen den beliebten Stempel. Als Sieglinde ins Gästebuch schaut, weist sie mich auf eine nette Botschaft in Deutsch hin. Ich freue mich riesig und bin gerührt, denn sie stammt von Sabine und Julian, die sich auf diesem Wege bei mir verabschieden. Wo mögen sie jetzt wohl sein?

Nach einer Weile gehen Sieglinde und ich weiter nach Logrono. Wir überqueren den Ebro und besichtigen die Innenstadt. Es ist noch Vormittag und damit lebt auch Logrono noch. Wir besuchen zunächst die Iglesia de Santiago el Real (unten links), eine Kirche, die dem heiligen Jakobus geweiht ist. Vor ihr befindet sich auf den Pflastersteinen ein Juego de la oca, ein beliebtes spanisches Kinderspiel, das in Verbindung mit dem Jakobsweg steht. Wir stehen etwas ahnungslos davor, erkennen aber einige Städtenamen, die zum Jakobsweg gehören und schon eilt ein Spanier herbei, der es uns erklären will. Nur leider reicht unser Spanisch nicht aus, um etwas Zusammenhängendes zu verstehen. Später begeben wir uns noch zur immens großen Kathedrale von Logrono (unten Mitte). Schon allein ihr Frontportal (unten rechts) ist so groß, dass man sich winzig vorkommt.



Da es nun zwar bald Mittag ist, ich mich aber recht fit fühle und die Herberge erst in einigen Stunden öffnet, entscheide ich mich mit Sieglinde weiter bis nach Navarrete zu gehen. Ich hoffe gleichzeitig aber auch, meine guten bekannten Mitpilger wiederzutreffen. Außerdem ist mir die Stadt ein wenig zu laut. Also stärken wir uns noch mit leckeren saftigen Pfirsischen und begeben uns wieder auf den Weg. Gerade am Ortsende wird Logrono furchtbar hektisch und betriebsam. Der viele Verkehr und das monotone, lieblose Industriegebiet am Stadtrand lassen viel Romantik des Weges vergessen und so bin ich froh, als die Stadt hinter uns liegt. Allerdings brennt nun die Sonne auch wieder erbarmungslos auf uns hernieder. Leider kann auch das Naherholungsgebiet mit seinem großen See, an dem wir entlang laufen, diese Hitze nicht wirklich mildern. Wir machen noch einmal eine Pause unter einigen Bäumen und laufen dann weiter. Meine Füße schmerzen nun wieder und dummerweise scheine ich nun an meinem rechten Fuß wieder genau dort eine Blase zu bekommen, an der ich vorher schon eine hatte. Es geht durch Weinberge und dann entlang einer Autobahn, die mit ihrer Lautstärke einfach nur nervt. Nur die manchmal ertönenden Hupen einiger vorbeibrausender LKWs sind eine Abwechslung, sind sie doch als Ermutigung für die Pilger gedacht.

Gegen 14 Uhr erreichen wir Navarrete, das uns auf einer Anhöhe bereits erwartet. Durch die sengende Nachmittagshitze laufen wir durch die Stadt zur Herberge. Wir erhalten noch zwei Betten unter dem Dach und schon bald wird klar, dass wir zu den letzten gehören, die noch unterkommen. Später werden viele Pilger weitergeschickt, weil alles belegt ist. Die Herberge ist recht modern ausgestattet und sauber. Nach einer erfrischenden Dusche bemerke ich im Speiseraum das österreichische Ehepaar von vorher. Ich freue mich, sie wiederzusehen und als ich näherkomme, sitzen auch Sabine, Julian, Peter und Ute mit im Speiseraum. Die Wiedersehensfreude ist sehr groß und dann wird sich erstmal gestärkt. Für diesen Moment sind alle Strapazen dieser Etappe und auch der furchtbar stechende Schmerz am rechten Fuß vergessen. In dieser Runde fühle ich mich wieder sehr wohl und geborgen. Später treffe ich auch die Amerikanerin Rose wieder, die mich mit einer erstaunlichen Nachricht überrascht: Sie erzählt mir, dass zwei der Dänen, von denen ich ihr erzählt hatte, auch hier in der Herberge seien. Ich bin völlig sprachlos, hatte ich doch nicht mehr geglaubt, sie wiederzusehen.

Am späten Nachmittag kaufe ich ein paar Sachen ein, denn unsere kleine deutsch-österreichische Pilgergruppe möchte heute Abend gemeinsam essen und so ein wenig das Wiedersehen feiern. Außerdem versorge ich mich in der Apotheke mit Oropacks, um den Schnarchern der Welt den Wind aus den Nüstern zu nehmen. Bisher ist es mir aber nicht gelungen, die beiden Dänen zu finden, die wahrscheinlich noch erschöpft in den Betten liegen. Erst am Abend, nach unserem Essen, begebe ich mich nach draußen zur kleinen Weinstube vor der Herberge und dort sehe ich Sören und Lea wieder. Wir alle freuen uns riesig, uns wiederzusehen und haben uns trotz der wenigen Tage so viel zu erzählen. Schon gleich entwickelt sich ein sehr angenehmes und auch tiefgehendes Gespräch und wieder bemerke ich, wie gut ich mich mit den beiden verstehe und wie viele nützliche Denkanstöße aus diesen Gesprächen erwachsen. So reden wir eine Weile, bevor wir uns dann wieder einmal verabschieden, nun aber mit der Aussicht uns wohl nicht noch einmal auf dem Weg zu begegnen. Der Abend und der anstrengende Tag klingen dann also bei einem gemütlichen Glas Rioja aus. Bevor ich aber in der aufgeheizten Dachstube der Herberge zum Schlafen komme, bietet sich mir noch ein etwas befremdlicher Anblick. Überall liegen Pilger auf den Betten und pflegen ihre Wunden an Füßen und Knien. Jeder wendet sein Mittelchen an, was die ohnehin stickige und warme Luft des Raumes in eine ätherische Mischung verwandelt, die man sonst wohl nur in Hexenküchen findet. Hinzu kommen die lazarettähnlichen Ansichten leidender und erschöpfter Pilger. Im Dunst dieser Wahrnehmung falle ich dann doch in einen oropack-geschützen Schlaf.