Dienstag, 12. August 2008

Etappe 27: Von Cacabelos nach Ruitelán

Es ist Sonntag, der 19. August 2007.

Die Nacht in der Zweierkabine war sehr ruhig und angenehm. Entsprechend gut ausgeruht kann ich morgens in Cacabelos starten und mich wieder auf den Weg machen. In der Dunkelheit folge ich dabei weitestgehend der Straße nach Villafranca del Bierzo. Im Morgengrauen komme ich in dieser schönen Stadt mit einer Burg und vielen schönen Kirchen an. Da sie von Bergen umgeben ist und sich selbst an diese anschmiegt, wirkt alles sehr malerisch. Hinter Villafranca gibt es angeblich zwei Alternativen, den Weg weiterzugehen: den normalen Camino und den Camino Duro, also den harten Weg, der viele extreme Steigungen und Abstiege an den Berghängen beinhaltet. An sich hatte ich mir vorgenommen, den harten Weg zu gehen (wenn schon, dann richtig und Reserven hätte ich auch noch) aber irgendwie scheine ich den entsprechenden Abzweig verpasst zu haben. Schade! So geht es nun in tiefen Tälern weiter entlang einer kaum befahrenen Straße. Leider ist unser Weg aber sozusagen in Beton gegossen; der Untergrund ist betoniert und in einer abstoßendenen gelben Farbe gestrichen, und rechts schützt uns eine Betonbarrikade vor den Autos. Das ganze trübt das Wegerlebnis ein wenig und dabei könnte es so schön sein, mit den bewaldeten Bergen, die sich links und rechts von uns in die Höhe erheben. Dabei scheint die Sonne nur selten durch Lücken des Bergkammes in das Tal.




Als ich den kleinen Ort Pereje passiere, sehe ich die beiden Engländerinnen aus Molinaseca in einem Cafégarten sitzen und frühstücken. Wir müssen alle lachen und rufen uns nur schnell ein „Good Morning Mr. Darcy!“ in Reminszenz an Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ zu und ich ziehe weiter. Kurz danach treffe ich auf weitere Bekannte von der Insel, nämlich Thomas und Clare, die offenbar gestern doch nicht so weit gelaufen sind, als geplant. Ich freue mich riesig, sie wiederzusehen und wir laufen nun gemeinsam. Clare geht es noch immer nicht gut mit ihrem Knöchel und außerdem hat sie sich den Magen ein wenig verdorben. Ich leihe ihr meinen Wanderstock und biete ihr ein paar homöopathische Pillen gegen die Bauchschmerzen an. Dabei erfahre ich, dass Thomas und Clare beide Ärzte sind. Sie fühlen sich aber nicht durch mein Angebot gekränkt, sondern nehmen es dankbar an. Im nächsten Ort werden dann sogar wieder Wanderstöcke in einem kleinen Laden angeboten und Thomas schlägt hier auch zu. So laufen wir gemeinsam weiter und lernen uns dadurch auch ein wenig besser kennen. Ich empfinde die Anwesenheit der beiden sehr angenehm. Bei unserem Laufen in den Tälern stoßen wir immer wieder auf riesige Betonpfeiler, die eine Autobahn stützen, die uns in etlichen Meter überquert. Entweder die Autobahn ist wenig befahren oder sie ist tatsächlich so hoch, dass man den Verkehr nicht hört. Die Pfeiler wirken dabei wie seltsame Fremdkörper, die so gar nicht in diese Landschaft passen, fast als wären riesige außerirdische Dreibeiner hier gelandet und hätten ihre Füße in die Täler ausgestreckt.




Gegen Mittag erreichen wir den winzigen Ort Ruitelán in den Bergen und hier hatte ich mir vorgenommen, die Herberge anzusteuern. Thomas und Clare entscheiden sich, ebenfalls hier zu bleiben und so warten wir gemeinsam mit ein paar anderen Pilgern auf das Öffnen der Herberge. Es ist ein ganz gemütliches kleines Häuschen. Wir drei werden unter dem Dach schlafen und der Hospitalero Carlos schaut sich auch gleich Clares Knöchel an. Alles ist etwas sehr spirituell angehaucht hier, aber nicht aufdringlich, sondern eher offen, so dass man christliche, esoterische und fernöstliche Elemente von Religiosität findet. Da die Herberge nur einige Pilger aufnimmt, bleibt alles auch sehr übersichtlich und es kommt nach kurzer Zeit eigentlich mehr das Gefühl einer großen WG auf. So lernen wir bald auch eine amerikanische Frau kennen, die zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Sohn unterwegs ist, wobei der Sohn offenbar heftige Probleme mit den Füßen hat. Auch ein französischer Priester, der in Ägypten arbeitet, namens Jean-Jacques ist hier, ebenso wie die Österreicherin Elisabeth und ein Deutscher namens Reinhard. Vor allem bei einem sehr liebevoll angerichteten Abendessen lernen wir uns alle ein wenig näher kennen und es herrscht eine sehr angenehme Atmosphäre. Carlos ist nicht nur ein guter Hospitalero, sondern auch ein guter Koch und ein perfekter Unterhalter, der es versteht, all seine Gäste in die Gemeinschaft einzubinden. Außerdem ist er auch noch Masseur und da auch ich nach wie vor Schmerzen in meinen Schultern habe durch den Rucksack, melde ich mich bei ihm auch für eine Massage an. Auch Thomas und Clare wurden behandelt, halten sich aber danach etwas bedeckt und grinsen nur etwas verschmitzt. Nach dem Abendessen ruft mich Carlos dann in das Behandlungszimmer. Dort erkläre ich dann mit meinen paar Brocken Spanisch mein Problem. Er bittet mich, den Oberkörper frei zu machen und beginnt zunächst meinen Rücken zu masieren und meine Arme immer wieder etwas zu strecken und zu verbiegen. Soweit macht für mich alles noch Sinn und ist auch relativ angenehm. Dann aber beginnt er immer wieder tief zu atmen und zu pusten, als würde er mir den Staub der letzten 600 km vom Leib wegblasen wollen. Ich finde das etwas befremdlich und auch irgendwie unangenehm. Immer wieder streicht er dabei an meinen ausgestreckten Armen vorbei, ohne sie wirklich zu berühren und dann immer wieder dieses Pusten. Manchmal habe ich richtig Angst, er kippt gleich um, weil ihm die Luft wegbleibt, aber er hält wacker durch. Dann fragt er mich, ob es besser sei und ich dummer Esel sage auch noch, dass es mit der rechten Schulter nun besser sei, ich aber links noch immer leichte Schmerzen hätte. Also geht die ganze Prozedur von vorne los, nur diesmal auf der linken Seite und ich könnte mich ohrfeigen, würde er nicht dann auch noch meine Wange behandeln wollen. Warum habe ich auch nicht einfach den Mund gehalten und gesagt, dass alles wieder bestens sei! So geht das dann insgesamt eine geschlagene halbe Stunde und mir wird ganz Angst und Bange, was denn morgen bei der Abrechnung verlangt werden würde. Ich verlasse also das Behandlungszimmer des Dr. Carlos nicht wirklich in entspanntem Zustand, aber immerhin sind die Schmerzen in den Schultern vorerst verschwunden. Allerdings kann ich mir das Schmunzeln der beiden Engländer von vorhin nun doch irgendwie erklären.


(Ein herzlicher Dank an Elisabeth für die Bilder.)