Freitag, 8. August 2008

Etappe 23: Von Villar de Mazarife nach Astorga

Es ist Mittwoch, der 15. August 2007.

Am Morgen fällt es mir doch ein wenig schwer, die Herberge und den netten Ort zu verlassen. Außerdem scheint mir die kurze gestrige Etappe und damit verbundene längere Ruhezeit nicht gut bekommen zu sein, denn mir fällt das Laufen heute schwer.

Die Landschaft ist aber jetzt wieder sehr angenehm und abwechslungsreich. Allerdings höre ich in der Morgendämmerung immer wieder ein fernen Rumpeln und zuerst denke ich an Donner, aber da kaum Wolken am Himmel sind, kann ich ein Gewitter ausschließen. Je weiter ich gehe, desto deutlicher wird es und bald erkenne ich, dass es Schüsse sind, die scheinbar überall in den hohen Maisfeldern fallen. Hier und da sehe ich auch einige Landrover am Rande stehen und schließe daraus, dass hier offenbar gejagt wird. Etwas komisch ist mir aber schon, denn die Schüsse fallen immer wieder und in allen Richtungen ohne dass ich dabei einen der Jäger erblicke. Manchmal kommt es mir sogar wie Gefecht vor, so oft knallt es. Ich halte mich immer schön am Weg und dennoch vertraue ich der ganzen Sache nicht ganz. Was, wenn ein Schuss in Richtung Weg abgefeuert wird? Ich bin sehr erleichtert, als ich kurz vor Hospital de Orbigo eine große Straße überquere und in den Ort komme, denn nun hören die Schüsse auf. Dann bemerke ich auch die Stelle, an der sich die beiden Wege, die sich hinter La Virgen del Camino getrennt hatten, wieder vereinigen. Schon wird das Pilgeraufkommen auch wieder etwas dichter.





Hospital de Orbigo ist ein angenehmer Ort mit einer malerischen alten Steinbrücke. In einem Café gleich daneben genehmige ich mir mein Frühstück. Dort treffe ich auch den Deutschen Steffen wieder, von dem ich erfahre, dass wohl die meisten aus der „italienischen Welle“ den Weg an der Straße gelaufen sind. Nach zwei Croissants und einem Cafe con leche breche ich wieder auf und wandere weiter gemütlich durch die Landschaft.Die Sonne scheint aber es ist nicht zu heiß. Hinter Hospital geht es dann ein paar Hänge nach oben auf kleinen Pfaden entlang. Als der nächste kleine Ort Santibanez de Valdeiglesias in Sicht kommt und ich mich ihm nähere, beginnen gerade die Glocken zu läuten. Ich werte dies als ein Willkommenszeichen und verspüre just in diesem Moment eine tiefe Dankbarkeit dafür, auf diesem Jakobsweg laufen zu können. Da fallen mir wieder einige Momente mit den Dänen ein und was sie gesagt haben, über die kleinen Dinge, über die man sich hier so freuen kann, die man aber im normalen Alltag oft schon nicht mehr wahrnimmt. Hinter Santibanez geht die Landschaft nun deutlicher in Hügel über. Auf engen Pfaden geht es über gemähte Getreidefelder, die golden glänzen und auf manch steinigem Weg geht es auch schonmal wieder steil bergauf und bergab. Inzwischen verdunkelt sich der Himmel aber beträchtlich und es sieht nun doch nach Gewitter aus.



Auf einer Hochebene kurz vor San Toribio weht ein scharfer Wind aber dafür kann ich jetzt auch schon einen beeindruckenden Ausblick in die vor mir liegenden Gebirgszüge der Montes de León genießen, in denen sich dicke Wolken verhangen haben. Nach all der Flachheit und Leere der Mesetas ist dies ein berauschender Anblick, gerade so als würde man sich nach langer Durststrecke mit frischem, kühlen Quellwasser erfrischen. Mir wird aber auch bewusst, dass meine Wahrnehmung dieser Landschaft nicht so intensiv wäre, wenn ich die Mesetas nicht in ihrer Gänze erlebt hätte. Es ist der Kontrast, der uns den Reiz verschafft. Genauso ist es, wenn wir das ganze Jahr über Urlaub hätten. Dann würde er uns wahrscheinlich nicht mehr reizen. So aber arbeiten wir das ganze Jahr und genießen die zwei, drei Wochen Urlaub dann umso mehr. (Und es soll ja auch passieren, dass man nach dem Urlaub dann auch die Arbeit wieder mehr schätzt.) So geht es mir nun mit diesen vor mir liegenden Bergen.

Am Kreuz von San Toribio mache ich noch einmal Pause, treffe dort erneut Steffen und kann schon bis zum heutigen Etappenziel Astorga schauen. Das Wetter wird nun aber schlechter und so mache ich mich bald wieder auf den Weg. Kurz vor Erreichen der Stadt holt mich Steffen wieder ein und nun laufen wir gemeinsam bis nach Astorga hinein. Inzwischen fängt es an zu nieseln und in Verbindung mit dem Wind wird es doch recht bald ziemlich kühl. Als Herberge haben wir uns ein Haus aus dem 16. Jahrhundert ausgesucht, das gleich in der Nähe der Kathedrale von Astorga liegt. Nach einigem Suchen im Regen haben wir es dann doch gefunden und werden auch von einer netten deutschen Hospitalera begrüßt. Auch hier ist alles sehr modern und sauber und aufgrund seiner Geschichte hat das Haus auch richtig Stil. Am Nachmittag hat der Regen nachgelassen und ich schaue mir die Kathedrale und die Altstadt an. Astorga ist ganz heimelig und ich fühle mich hier sehr wohl. Der Dom hat eine interessante Fassade und wirkt ein wenig wie eine Hochzeitstorte oder eine Kleckerburg. Im Innern ist er auch schön, aber nicht so beeindruckend wie die Kathedralen von León oder Burgos. Astorga ist bekannt für seine Schokolade und daher kaufe ich mir in einem Laden eine Tafel, die aber furchtbar süß ist. Am Abend verabrede ich mich mit Steffen, der übrigens aus Ulm kommt, zum Pilgermenü in einem richtig noblen Restaurant. Offenbar gehört die Herberge dem Eigner des Restaurants, weshalb er auch Pilgermenüs anbietet. Nun, der Speisesaal ist ziemlich edel eingerichtet und die Kellnerinnen sehen adrett aus. Ich gebe zu, ich komme mir selbst in meinen besseren Pilgerklamotten etwas underdressed vor, aber wir machen uns nichts daraus und hier ist man Klientel wie uns auch gewohnt.




Mit dem freudigen Gedanken, morgen dann auch die Montes de León aus der Nähe zu sehen und damit weitere Abwechslung zu genießen schlafe ich ruhig ein.