Dienstag, 5. August 2008

Etappe 20: Von Bercianos del Real Camino nach Puente Villarente

Es ist Sonntag, der 12. August 2007.

Gegen 6 Uhr breche ich wieder auf, nachdem es mir gelungen ist, schnell in das Badezimmer zu kommen, um mir wenigstens die Zähne zu putzen, bevor all die anderen Pilger aufstehen und auch ins Bad gehen. Es ist noch immer dunkel, als ich aufbreche, aber die Gefahr sich zu verlaufen ist gering, denn mit mir sind diesmal viele Pilger unserer Herberge auch schon unterwegs. Ich komme jedoch nicht so gut voran, denn ich habe wieder schlimme Schmerzen im linken Fuß. Heute stehen ca. 26 km bis Mansilla de las Mulas an, aber der Gedanke, dort wieder mit mindestens 70 anderen Pilgern die Herberge zu teilen, gibt mir zu denken. Insbesondere stört mich, dass ich jetzt scheinbar in eine italienische Welle hineingeraten bin: immer wieder tauchen ganze Gruppen von Italienern auf, die sich entweder total machomäßig oder wie kleine Kinder aufführen. Dabei scheinen die auch nicht allein sein zu können, ohne gleich an Heimweh nach Bella Italia zu sterben. Aber andere sind auch ganz nett und die sehe ich dann auch gern wieder. Also im Grunde gefällt mir der Gedanke nicht so ganz, in Mansilla wieder in dieser Welle mitzuschwimmen.

Bald erreichen wir El Burgo Ranero, einen kleinen Ort inmitten dieser scheinbar endlos flachen und unbewohnten Gegend. Weit und breit nur Ebene mit buchstäblich nichts. Nicht einmal Felder sind hier, oft nur Dreck. Hinter El Burgo Ranero wird es dann ganz hart. Über drei Stunden lang zieht sich der Weg nahezu schnurgerade durch das Land und dabei gibt es keine Abwechslung. Weit vor mir wandern ein paar Pilger und ab und zu fährt ein Auto auf der kleinen Landstraße neben dem Weg als Abwechslung entlang. Später tauchen wenigstens ein paar Maisfelder auf. Diese Strecke ist aufgrund der Leere eine unglaubliche Herausforderung für den Kopf. Man ist hier tatsächlich ganz mit sich allein, doch überträgt sich die Leere des Landes auch irgendwie auf den Kopf und bald fühle ich mich auch geistig ganz leer. Hinzu kommt, dass es morgens um 8:30 Uhr bereits sehr warm ist. Kurz vor Reliegos treffe ich auf den jungen Felix, ein Deutscher, der mit seiner Oma unterwegs ist, die aber etwas langsamer läuft und daher nicht bei ihm ist. Ich kenne die beiden, denn in der netten Herberge in Pamplona sind wir uns schon kurz beim Frühstück begegnet. Unglaublich, ich hätte nicht gedacht, jetzt noch jemanden aus den frühen Etappen wiederzutreffen. Felix und ich laufen ein wenig zusammen und unterhalten uns. Bei einer Rast zeigt er mir, dass er überall an den Armen komische Flecken hat und meiner Meinung nach sieht es aus, als sei er das Opfer von Flöhen geworden. Ich rate ihm, in der nächsten Herberge unbedingt seinen Schlafsack im Freien auszuschütteln oder ihn gar in einem Trockner durchheizen zu lassen. Es sieht wirklich übel aus und ist nach dem Koreaner von Belorado nun schon der mir zweite bekannte Fall von Flöhen in Herbergen. Als ich dann so mit Felix laufe, kommt uns ein Wagen entgegen, der kurz vor uns stoppt und ein Mann steigt aus und kommt auf uns zu. Er gibt uns Flyer, die uns darüber informieren, dass es in Puente Villarente, kurz vor León, eine neue Herberge gibt, die offenbar sehr gut ausgestattet ist. Noch sind wir nicht einmal in Reliegos und bis Mansilla ist es noch ein ziemliches Stück Weg, aber in mir wächst die Hoffnung, dass ich es vielleicht doch heute noch bis Puente Villarente schaffe um der besagten Welle zu entgehen und um morgen einen kürzeren Weg nach León zu haben.

Als wir endlich Reliegos erreichen, ist der Streckenabschnitt der Leere hinter uns und es kehrt wieder eine willkommene Abwechslung in den Wegverlauf und die Landschaft ein. Felix und ich laufen noch bis Mansilla weiter und erreichen die dortige Herberge gegen Mittag. Diese würde aber erst um 14 Uhr öffnen und ich spüre, dass ich doch noch einige Reserven habe. Auch ist die Erfahrung der „Flüchtlingslager-Herberge“ von gestern noch zu frisch und somit entscheide ich mich, weiterzulaufen. Da Felix sich aber mit seiner Oma in Mansilla verabredet hat, bleibt er zurück. Die Stadt Mansilla und auch die dortige Herberge machen einen gemütlichen und auch lebhaften Eindruck, so dass es mir fast doch etwas leid tut, weiterzuziehen. Der Weg danach bis nach Puente Villarente ist hart. In der prallen Mittagssonne neben einer stark befahrenen Hauptstraße geht es weiter. Als ich dann im Ort ankomme, erblicke ich eine kleine Herberge am Straßenrand. In der Meinung, es sei die auf dem Flyer gehe ich zu ihr, aber sie scheint verlassen zu sein, wenngleich es ein ganz neues und angenehmes Gebäude ist. Plötzlich ruft mich eine ältere Frau aus einem naheglegenen Hinterhof und fragt auf Spanisch ob ich ein Bett suche. Ich bejahe und sie verschwindet im Haus, um wohl ihren Sohn zu holen. Der nette spanische Herr begrüßt mich freundlich und lässt mich ein. Ich bin überwältigt, denn die Herberge ist gemütlich und ganz neu eingerichtet, alles ist sehr sauber und modern. Und ich bin der einzige Gast und die Übernachtung kostet nur 6 Euro. Bis weit in den Nachmittag hinein bleibe ich der einzige Pilger hier und erst dann stoßen noch zwei freundliche Radfahrer dazu, die aber in einem anderen Zimmer untergebracht werden. Es ist fantastisch und solch ein Kontrast zum gestrigen Tag: heute bin ich in einer hotelähnlichen Unterkunft mit Einzelzimmer. Ich genieße die Ruhe und bereue es nicht, heute wieder einmal 32 km gelaufen zu sein, denn dafür bleiben mir morgen nur noch ca. 20 km bis nach León.