Mittwoch, 10. Oktober 2007

Etappe 2: Von Roncesvalles nach Zubiri

Es ist Mittwoch, der 25. Juli 2007, der Tag des Heiligen Jakobus.

Nach einer angenehm ruhigen Nacht in unserem luxuriösen Hotelzimmer in Roncesvalles breche ich gegen 7 Uhr auf zur nächsten Etappe. Die Anstrengung der gestrigen 25 km über die Pyrenäen steckt mir irgendwie noch in den Knochen, aber es ist schönes Wetter und immerhin hatte ich eine warme Dusche im nahezu eigenen Badezimmer und kann nun ausgeruht weiterlaufen.
Da Roncesvalles ja nicht groß ist, habe ich den Ort schon bald verlassen und laufe durch einen gemütlichen Wald. Von Pilgern sehe ich erst weit und breit nichts, auch Carla hatte das Zimmer noch nicht verlassen, als ich aufgebrochen bin. Offenbar sind die meisten auch noch in der Herberge oder ganz früh los. Es ist etwas kühl. Bald überholen mich ein paar Radpilger und hinter mir höre ich jetzt auch drei Italiener, die irgendwie so viel Spass haben, dass sie den ganzen Wald zusammenlachen. Ich finde, dass das die meditative Morgenstimmung etwas trübt und laufe schneller um Distanz zu ihnen aufzubauen. Bald verlasse ich den Wald und komme in den kleinen Ort Burguete. Hier geht es ein Stückchen an der Strasse entlang, die aber nicht sehr stark befahren ist. Jetzt sehe ich auch schon mehrere Pilger in etwas Entfernung vor mir. Da ich Hunger habe, beschliesse ich, in Burguete zu frühstücken und steuere dementsprechend schon kurze Zeit später eine Bäckerei an, die gleichzeitig Café ist. Irgendwie komme ich gerade gleichzeitig mit einer Gruppe von sechs jungen Leuten an, die ungefähr in meinem Alter sind. Sie setzen sich an einen großen Tisch im Vorgarten und da sonst kein Platz mehr frei ist, frage ich, ob ich mich dazusetzen darf. Sie haben nichts dagegen. Drinnen holen wir uns alle Kaffee und ein süßes Gebäckteilchen; ich hole mir auch noch ein Baguettebrot für den Tag. Dann sitzen wir so gemeinsam und kommen auch ins Gespräch. Wir unterhalten uns auf Englisch und ich erfahre, dass sie alle aus Dänemark kommen und befreundet sind. Ich erzähle Ihnen von mir und von meiner Dissertation über ein theologisch-geschichtliches Thema, wofür sie sich sehr interessieren. Es stellt sich heraus, dass Martin Theologie studiert und gerade sein Examen gemacht hat. Soeren ist Jugendpfarrer und entsprechend auch interessiert. Lea hat auch einen Job im Sozialbereich und ist die Freundin von Soeren. Carsten ist derzeit Sozialarbeiter und mit seiner Freundin Britta auf dem Jakobsweg hier. Und Helga ist eine quirlige junge Frau, die noch im letzten Jahr Dialysepatientin war und oft zwischen Leben und Tod schwebte, nun aber dank einer Nierentransplantation auch auf dem Jakobsweg gehen kann und darüber sehr dankbar ist. Wir reden bestimmt fast eine Stunde miteinander und so lerne ich diese sechs Dänen als sehr nette Menschen, als engagierte und tiefgründige Christen kennen und fühle mich mit ihnen auch gleich seltsam nah verbunden. Sie fragen mich, ob ich nicht mit ihnen zusammen laufen möchte und ich freue mich, ihre Gesellschaft weiter geniessen zu können.

Wir laufen gemeinsam durch die nun langsam wieder flacher werdende Landschaft und immer gibt es Gelegenheit mit den einzelnen Leuten wirklich sehr gute Gespräche zu führen. Lea hat allerdings sehr starke Schmerzen in den Knien und kommt nur langsam voran. Soeren entscheidet sich daher, zusätzlich zu seinem Rucksack auch den von Lea zu tragen, wechselt sich aber ab und zu mit Carsten dabei ab. Auch Helga ist langsamer unterwegs, freut sich aber sehr, als ich ihr meinen Pilgerstab ausleihe. Ich merke, wie wichtig mir die Dänen mit jeder Stunde gemeinsamen Weges werden und wie viele Denkimpulse ich für mein Leben mit Gott bekomme und empfinde das schon auf dem Weg als ein riesiges Geschenk. Zwischendurch machen wir an einem kleinen Fluss Pause um unsere Füße im Wasser ein wenig abzukühlen. (Bild links: v.l.n.r. Carsten, Helga sitzend, Soeren, Lea, Britta, Martin) Mittlerweile brennt die Sonne sehr heiss und es geht auf den Mittag zu. Die Pause nutzen wir auch für eine kleine gemeinsame Andacht.

Wenig später geht es bei Lea nicht mehr. Da der Weg doch immer sehr steil bergab und dann wieder bergauf führt, sind die Schmerzen zu stark. Sie und Soeren entscheiden sich, zu einer großen Verkehrsstrasse zu laufen und dort zu versuchen, per Anhalter zum Etappenziel nach Zubiri zu kommen. Also sind wir nun nur noch zu fünft.

Durch die Hitze und den anstrengenden Weg kommen wir alle nur langsam voran und müssen oft Pause machen. Das hält uns zwar auf, gibt aber immer wieder neue Gelegenheiten, die Dänen besser kennen zu lernen. Ich bin erstaunt, wie schnell ich mich an diese Leute gewöhnen kann und gewinne sie alle richtig lieb.

Am frühen Nachmittag geht es kurz vor Zubiri nochmal richtig steil auf einem Geröllweg bergab. Mir brennen die Füße, ganz zu schweigen von den Schultern, denn der Rucksack ist ja seit den Bergen nicht leichter geworden. Als wir unten an der Brücke von Zubiri (Bild unten) ankommen, will ich nur noch in die Herberge und den bescheuerten Rucksack loswerden. Den anderen geht es ähnlich, aber ein Motto geht unter uns um: "Embrace the pain as your friend!" (Umarme den Schmerz als deinen Freund!) Nun ja, so richtig will mir das Moto an der Stelle nicht gefallen, aber ich will weiter darüber nachdenken. Unsere Niedergeschlagenheit wird schlagartig besser, als wir Soeren und Lea sehen, die uns förmlich an der Brücke empfangen. Wir freuen uns alle, dass sie es per Anhalter sicher hierher geschafft haben und gemeinsam ziehen wir in die Herberge ein. Es handelt sich um eine alte umgebaute Schule, bei der diesmal nur 50 Betten in einem Raum stehen und noch genügend Platz für uns alle ist. Nach einer Dusche und etwas Ausruhen geht es uns allen schon viel besser. Martin und ich entscheiden uns aber, doch die Füße noch ein wenig in den Fluss von Zubiri zu halten und machen uns auf den Weg dorthin. Die Entspannungsphase, die dann folgt entschädigt für einige Mühen des Tages und ich geniesse nur noch (Bild rechts: Martin mit Anette, einer anderen deutschen Pilgerin im Fluss).

Am Abend nehmen wir alle noch ein Pilgermenü in einer nahegelegenen Gaststätte ein und haben dabei richtig viel Spass. Später sitzen wir noch gemeinsam vor der Herberge; jeder versucht seine geschundenen und leicht wund werdenden Füße noch mit allerlei Mittelchen zu pflegen. Ich treffe dabei auch noch auf zwei Radpilger aus den Niederlanden, die dort gestartet sind und noch nach Santiago wollen. Es tut auch gut, mal wieder Niederländisch zu sprechen. Allerdings geht mir am Abend vor dem Schlafengehen noch eines durch den Kopf: Auch wenn ich diesen Tag in der Gesellschaft der Dänen sehr genossen habe, denke ich mir, dass ich weniger schnell voran gekommen bin und dass ich die Landschaft weniger geniessen konnte. Eventuell werde ich also wohl morgen wieder allein laufen, aber von den neu gewonnenen Freunden Abschied zu nehmen, täte mir auch sehr weh. Ich beschliesse, das morgen früh zu entscheiden und schlafe ein.