Samstag, 26. Januar 2008

Etappe 7: Von Estella nach Los Arcos

Es ist Montag, der 30. Juli 2007.


Früh am Morgen verlasse ich die Herberge bei angenehm kühlen Temperaturen. Ich merke, dass mir meine Füße noch immer sehr weh tun, wenn ich aufstehe, die Schmerzen dann aber im Laufe des Tages nachlassen. Ob dieses Zustandes freue ich mich ein wenig, denn das Weitergehen ist damit ja gesichert. Nach einigen Kilometern taucht hinter Estella das Kloster von Irache auf, das für seine Fuente de Vino bekannt ist. Hier können sich die Pilger an einer ganz besonderen "Quelle" entweder mit Wein erfrischen oder Wasser tanken. Als ich am Kloster ankomme, sind bereits so viele Pilger dort, dass man meint, es wäre gerade ein Touristenbus gelandet. Natürlich will jeder einmal den Wein probieren, aber wohlweislich haben die Betreiber die Weinzufuhr erschwert. Man muss schon ziemlich pumpen, wenn man überhaupt ein paar Tropfen aus dem kleinen Hahn pressen will. Für einen kleinen Schluck reicht es, aber ehrlich gesagt finde ich den Wein nicht so hervorragend. Das Wasser aus dem Hahn gleich daneben spriesst lebendiger und schmeckt eben wie Wasser. Die Verzierung dieser Quelle finde ich noch am schönsten. Alles andere ist in der Tat eher eine Touristenattraktion. Da sich aber nun irgendwie ein Pilgerstau ergeben hat, laufe ich sozusagen in illustrer Runde weiter, ohne mich dabei aber mit den einzelnen Pilgern zu unterhalten. Es ist nur lustig, dass man irgendwie immer die gleichen Leute überholt, sie freundlich grüsst und man kurz danach von diesen Leuten wieder überholt wird und man sich wieder grüsst.
So geht das dann schon mal mehre Male kurz hintereinander.




Ich genieße die Morgenstimmung, die über dem Tal hinter uns einen schönen Nebelschleier in der Morgensonne zaubert. In der Ferne glüht uns das Kantabrische Gebirge an und wirkt irgendwie wie eine andere und ferne Welt, wohl auch, weil ich weiss, dass mein Weg mich nicht dorthin führen wird. Für mich geht es stattdessen weiter durch Weinberge und Getreidefelder.

Bald erreiche ich Monjardin, einen kleinen Ort am Fuße eines höheren Hügels auf dessen Spitze eine Burgruine thront. Hier gelingt es mir, mich wieder ein wenig aus der Pilgermasse abzusetzen, denn viele kehren hier kurz ein um zu frühstücken. Ich denke an meine Füße und daran, dass sie bei Pausen immer besonders weh tun und laufe weiter. Inzwischen ist auch ein angenehm kühler Wind aufgekommen, der das Wandern bei der steigenden Sonne trotzdem angenehm macht. Ich laufe direkt zwischen den Weinstöcken hindurch und genieße einfach den Moment. Dann werden die Weinberge seltener und die Weizenfelder gewinnen wieder die Oberhand. Es geht auf schönen ruhigen Wegen durch diese Felder, die sich flach vor mir ausbreiten. Ganz weit weg kann ich schon sehen, wo der Weg weiterverläuft und wie sich winzige Pilgerfiguren auf ihm bewegen. Jetzt macht das Laufen wieder richtig Spaß und genau so hatte ich mir den Jakobsweg vorgestellt. Zwar merke ich die Anstrengung in den Beinen und auch wieder in den Schultern und mache immer wieder kleine Pausen, aber es bereitet mir große Freude voran zu kommen und den Blick wieder auf diese schönen Dinge lenken zu können. Immer wieder werde ich von einer netten Frau überholt, die mich wohl wegen ihres Huts ein wenig an eine Safariteilnehmerin erinnert. Wir grüßen uns immer nett gegenseitig, sie zieht an mir vorbei, wenn ich Pause mache und dann hole ich sie bald wieder ein.

Gegen Mittag ist es in der Sonne dann doch wieder ganz schön heiß und in der flachen Ebene gibt es kaum schattige Plätze. Ich muss aber nun doch immer häufiger Pausen machen, da der Rucksack furchtbar schwer wird und die Füße schmerzen. Einmal ziehen an mir mehrere junge Pilger vorbei, die fröhlich singend weiterziehen. Ich denke mir, dass ich eigentlich auch singen könnte, schäme mich aber ein wenig und lasse es dann doch. Ich bin eben kein guter Sänger, auch wenn das hier sicher keinen interessieren würde. Und außerdem fallen mir immer die Texte nicht ein. Allerdings kommt mir gerade ein Lied nicht aus dem Sinn: "Yesterday" von John Lennon und so summe ich es wenigstens vor mich hin und vor meinem geistigen Auge tauchen ein paar Textfetzen auf. Ich denke daran, dass es im Lied heisst, dass gestern aller Ärger noch so ferne war. Mir wird klar, dass dies bei mir anders war. Gestern noch war der Ärger groß und nun aber kann ich unbeschwert weiterpilgern. Dies scheint mir wieder Kraft zu geben und so ziehe ich weiter durch die Mittagshitze.


Nach einiger Zeit - viel länger, als ich vermutet hätte - taucht endlich der Ort Los Arcos auf. Dies soll mein Tagesziel sein. Gleich am Ortseingang gibt es einen Getränkeautomaten, an dem sich die meisten Pilger versammelt haben, um sich ein wenig im Schatten auszuruhen und etwas zu trinken. Hier treffe ich auch die Sänger von vorher wieder. Ich nehme auch eine kurze Auszeit, da ich aber vorhabe hier zu übernachten, begebe ich mich bald wieder auf den Weg um die Herberge zu suchen. Los Arcos ist um die Mittagszeit ein niedliches verschlafenes Städtchen. In den engen Gassen ist es schattig und angenehm. Ich komme bald in der Casa Austria an, einer kleinen wirklich gemütlichen Herberge, die von einem österreichischen Jakobsverein geleitet wird. So empfängt mich auch eine freundliche junge Österreicherin und weist mich ein. Mit mir sind neun weitere Pilger im Zimmer, das sich nun recht schnell füllt. Beim Wäschewaschen lerne ich Sieglinde aus Dresden kennen, die mich ganz offensiv anspricht. So entwickelt sich ein Gespräch unter uns beiden, dass schon bald eine gewisse Tiefe erhält, als jeder von seinen Erfahrungen auf dem Camino spricht. Bald darauf kommt Peter dazu, der aus Norddeutschland kommt und zusammen mit seiner Frau auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Wir drei unterhalten uns sehr angenehm und so wird die ohnehin schon sehr angenehme Herberge fast wie ein kleines Zuhause auf dem Weg, in dem man sich umgeben von netten Menschen sehr wohl fühlt. Später treffe ich auch Sabine und Julian wieder, die ich ja schon aus Puente la Reina und Estella kenne. Zwar bin ich damit im engeren Umkreis von vielen Deutschen, aber ich verstehe mich mit allen gut und fühle mich wohl. Es stellt sich heraus, dass Sieglinde, Peter und seine Frau Ute auch im selben Zimmer schlafen, wie ich.

Am späten Nachmittag wage ich mich nochmal in die Hitze Spaniens hinaus, um mir Los Arcos ein wenig genauer anzusehen, ein paar Dinge einzukaufen und mich in der Apotheke mit Magnesium zu versorgen. Es ist sehr idyllisch hier. Die Stadt wirkt gemütlich wie ein Wohnzimmer, dass mittelalterlich eingerichtet ist. Und auch die Menschen sind sehr freundlich, was das Pilgerherz richtig freut. In der Panaderia - eigentlich einer Bäckerei, die aber vielmehr wie ein guter alter Tante-Emma-Laden daherkommt - würdigt die Verkäuferin auf sehr freundlich Art meine Versuche, mich in Spanisch zu verständigen. Das ist wie Balsam für die Seele und ich merke, dass sie sogar auch ganz gut Deutsch spricht. Auch in der Apotheke ist die Frau sehr nett und freut sich, mir mit Magnesiumtabletten helfen zu können. Das sind ganz einzigartige Momente auf dem Weg, die einem die persönliche Nähe zum Land und der Region schaffen. Und das ist auch ein wenig Bestätigung dafür, dass dieser Pilgerweg eine gute Sache ist, für die Pilger und die Menschen, die davon leben.


Ich komme zurück in die Herberge, gut ausgestattet mit einer örtlichen Spezialität, den Rosquillas de Los Arcos. Das sind frittierte Kekse, die ordentlich satt machen und auch für die morgige Etappe noch reichen. Also gehe ich gut gestärkt ins Bett und möchte schlafen. Auch andere Pilger befinden sich schon im Bett. Jetzt wird es langsam ruhiger. Leider gibt es aber auch ein paar Pilger, die direkt vor unserem Fenster den guten Wein genießen und sich dabei lauthals feiernd und lachend ständig versprechen, sich einmal gegenseitig besuchen zu wollen. Das geht bis weit in die Nacht und man merkt, dass es alle schlafwilligen Pilger im Raum stört. Erst als spät jemand etwas zu den Feiernden sagt, kehrt langsam Ruhe ein. Es gelingt mir, für einige Momente einzuschlafen, aber dann geht das Drama leider erst richtig los. Gleich neben mir auf dem Hochbett fängt ein Spanier an, furchtbar laut zu schnarchen. So etwas habe ich aber auch wirklich noch nie gehört. Es ist fast mechanisch und klingt wie eine Höllenmaschine. Mir geht ständig durch den Kopf, dass ich morgen wieder früh raus muss, um der Hitze zu entgehen. Wenn ich also nicht bald Schlaf finde, komme ich kaum 100 Meter weit. Doch der Spanier hat sich definitiv vorgenommen, den Wald, der in Spanien noch steht mit brutalster Nasensäge abzuholzen. Ich bin frustriert, genervt und unendlich müde. Mir scheint, dass auch alle anderen nicht schlafen können, es liegt eine seltsame Unruhe in der Luft. Manchmal rüttelt jemand an dem Bett, aber das bringt nur kurzzeitige Abhilfe. Gleich geht es weiter mit dem Geratze. Entnervt beschließe ich, meinen Schlafsack zu nehmen und mich draußen im Aufenthaltsraum in einen Stuhl zu setzen um wenigstens ein wenig zu schlafen. Kurz vorher kommt mir noch der Gedanke, den Schnarcher mit meinem Pilgerstab in einen tieferen Schlafzustand zu versetzen, aber ich lasse es aus reiner christlicher Nächstenliebe. Ich gehe raus aus dem Zimmer und setze mich in einen Stuhl. Erst jetzt bemerke ich, dass ein junger Hospitalero noch am Computer sitzt. Er fragt mich ruhig, was los sei und ich erkläre, dass es unmöglich sei, dort drinnen zu schlafen. Daraufhin springt er auf und führt mich bis unter das Dach, wo noch einige Matratzen auf dem Boden liegen, die nur teilweise belegt sind. Er bietet mir an, dort zu schlafen, was ich dankend annehme. So komme ich wenigstens zu einigen Stunden Schlaf und Los Arcos hat sich auch in der Tiefe der Nacht wieder als sehr pilgerfreundlicher Ort erwiesen.