Freitag, 22. August 2008

Bis ans Ende der Welt 1: Von Santiago de Compostela nach Negreira

Es ist Mittwoch, der 29. August 2007.

Viele Pilger auch des Mittelalters haben nach den beschwerlichen Monaten der Reise nach Santiago auch noch den Weg zum Kap Finisterre angetreten. Für viele war dies die einzige Gelegenheit in ihrem Leben den weiten unendlichen Ozean zu sehen und in mittelalterlicher Weltanschauung konnte man durchaus zu der Überzeugung gelangen, an jenem Kap das Ende der Welt zu erreichen. Da mein Zeitplan sehr weit gefasst ist und mein Rückflug nach Deutschland erst am 4. September gebucht ist, kann ich mir also den weiteren Weg von ca. 90 bis 100 km dorthin noch erlauben. Und auch ich sehne mich nun nach dem weiten endlosen Blick auf das Meer.
Ich breche gegen 7:30 Uhr auf und scheinbar ist Santiago etwas traurig über meine Abreise, denn die Stadt ist in ein nebliges Grau gehüllt. In der Tat fällt es auch mir schwer, die Stadt wieder zu verlassen, denn ich habe mich schon ein wenig in diesen Ort verliebt.



Dank meines Wanderführers finde ich schnell den Weg in die Wälder westlich von Santiago de Compostela und laufe wieder durch saftige grüne Landschaften, die im Nieselregen schillern. Ich muss gestehen, dass meine Füße heute morgen auch den Drang zum Laufen wieder verspüren. Offensichtlich habe ich mich nun so an das tägliche Wandern gewöhnt, dass sie nicht mehr nur mit kleinen Stadtspaziergängen zufrieden sind. Nun heute dürfen sie wieder knappe 24 km bis zur ersten Herbergsstation Negreira absolvieren. Zunächst macht es auch Spaß, doch bald schon treffe ich auf erstaunlich viele Pilger. Zunächst rätsele ich etwas, wo die wohl auf einmal herkommen, dann aber bin ich doch etwas genervt und gerate auch ein wenig in Panik. Ich weiß, dass es auf dem Weg nach Finisterre nur wenige Herbergen gibt, die in der Kapazität auch nicht groß sind und nun kommt leider wieder diese Angst um einen Herbergsplatz auf. Die Hoffnung, die ich hatte, mich auf dieser zusätzlichen Reise etwas vom Stress der letzten Kilometer vor Santiago zu erholen, zerschlägt sich im Anblick dieser gut 20 Pilger vor mir. Hinzu kommt, dass ich sie nicht überholen kann, weil der Pfad so schmal ist und sie alle so langsam laufen. Ich bin etwas frustriert und laufe in ihrem Tempo hinterher. Ich spüre auch, dass die Freundlichkeit und die Gemeinschaft des Pilgerweges bis Santiago auf einmal verschwunden zu sein scheinen. Ja, der geistliche Gehalt des Weges hat wohl mit dem Apostelgrab sein Ende gefunden. Nach einer Weile gelingt es mir nun doch, die Gruppe zu überholen und bald schon stellt sich heraus, dass es sich um eine Touristengruppe handelt, die in regelmäßigen Abständen läuft und dann wieder vom Bus abgeholt wird. In der Regel übernachten diese Gruppen auch nicht in den Herbergen, was mich nun wieder etwas beruhigt. Der Weg gewinnt dadurch wieder an Qualität.

Landschaftlich ist der Weg wieder sehr schön. Es geht durch viele kleine Ortschaften, die durch das Meeresklima geprägt sind; immer wieder sieht man große Palmen und andere exotische Pflanzen in den Gärten wachsen. Der Weg führt durch kleine Wälder, über Hänge, entlang der Straße und auf Feldwegen. Lediglich als es darum geht, die Hänge von denen Santiago in einiger Entfernung umgeben ist, zu überqueren wird es richtig anstrengend. Durch einen dichten Laubwald geht es sehr steil bergan, so dass mir wieder Erinnerungen an die Pyrenäen kommen. Mir bleibt sogar manchmal fast die Puste weg und ich muss öfter pausieren. Hier am Alto do Mar de Ovellas lerne ich, dass 272 Höhenmeter auch ganz enorm sein können, vor allem, wenn der Meeresspiegel nur einige Kilometer entfernt ist. Erleichtert aber völlig durchgeschwitzt erreiche ich den Kamm und von nun an geht es entspannter weiter.
Auf der weiteren Strecke komme ich durch einen wirklich malerischen Ort namens Puente Maceira, der wunderschön ruhig an einem großen Fluss liegt, der von einer alten Brücke überquert wird. Nun ist es nicht mehr weit bis nach Negreira.


Im Ort decke ich mich noch mit Lebensmitteln ein, da die Herberge etwas außerhalb liegt, die ich gegen 12:30 Uhr erreiche. Ich bin froh, dass außer mir scheinbar niemand sonst da ist und alle Befürchtungen von heute morgen sind wieder verschwunden. Als die Hospitalera dann vorbeikommt sind nur noch zwei andere Pilger mit mir da. Die Herberge ist wirklich nicht groß, aber sauber und bequem. Im Laufe des Nachmittags aber kommen immer mehr Pilger an und schon bald sind wieder alle Betten belegt und viele müssen auf Matratzen im Gemeinschaftsraum schlafen. Während ich dies so wahrnehme, kommt der eben noch überwundene Frust zurück, denn mit diesem Pilgerandrang auf dem Weg nach Finisterre habe ich nicht gerechnet, doch er wird sich wohl bis dorthin auch fortsetzen. Hinzu kommt, dass unter den Pilgern auch wieder viele nervige Italiener und einige peinliche Deutsche sind. Der Stress der letzten Etappen des Jakobswegs bis Santiago hat mich also gewissermaßen wieder. Glücklicherweise treffe ich auch wieder einen Bekannten, Edgar, einen Schweizer, den ich vor vielen Tagen in Hornillos del Camino zum ersten Mal getroffen hatte. Damit fühle ich mich nicht ganz so verloren hier. Morgen geht es dann nach Olveiroa.