Montag, 4. August 2008

Etappe 19: Von Lédigos nach Bercianos del Real Camino

Es ist Samstag, der 11. August 2007

Nach einer weiteren ruhigen Nacht breche ich morgens wieder in der Dunkelheit auf. Vor mir liegen heute 27 km bis Bercianos del Real Camino. Leider wartet beim Aufbruch Lili schon auf mich in der Erwartung, mir damit wohl einen Gefallen zu tun. Ich bin nicht wirklich begeistert. Als wir uns dann wieder in die Ebene begeben und uns dabei die Dunkelheit wieder ganz umhüllt, fällt mir erneut der wunderschöne Sternenhimmel auf. Über uns thronen die Sternenbilder des Orion und des Großen Wagen. Auch der Mond scheint in einer ganz dünnen Sichel, jedoch wird er so angestrahlt, dass auch der Rest des Mondes blass sichtbar ist. Das ist wieder ein faszinierender Anblick und ich finde es schade, dies nicht einfach so im Foto festhalten zu können. Kurz hinter Lédigos trenne ich mich von Lili und bin darüber durchaus froh. Ihre Art ist mir einfach unsympathisch und mir fehlt die Konzentration auf den Weg und die Landschaft wenn sie dabei ist. Außerdem habe ich auch erfahren, dass sie aufgrund ihres schnellen Schrittes immer die Pilgerpässe der ihr bekannten Österreicherin und eines slowenischen Ehepaares, das sie unterwegs kennengelernt haben, mitnimmt um dann am vereinbarten Ort Herbergsplätze zu reservieren. So ein Verhalten finde ich absolut unfair und möchte damit auch nichts zu tun haben. Ich bin also froh, als ich endlich wieder allein unterwegs sein kann. Es ist aber auch wundersam, denn noch vor ein paar Tagen fiel mir der Abschied von meinen Freunden in Burgos so schwer und ich hatte mich nach Gesellschaft gesehnt. Ich bemerke auch, dass ich im Umgang mit Lili sehr vorsichtig bin, denn ich möchte sie auch nicht verletzen mit einer zu schroffen Art. Das tue ich wahrscheinlich weniger aus Rücksicht auf sie, sondern vielmehr aus der Erfahrung heraus, doch einmal in eine Notsituation zu kommen und dann jede Hilfe dankbar annehmen zu können. Das ist leider sehr opportunistisch und irgendwie ärgere ich mich da auch über mich selbst.

Bei meinem Wandern durch die immer noch monotone Landschaft der Mesetas habe ich nun wieder mehr Zeit zur inneren Reflexion. Während ich nun an Terradillos de los Templarios und an San Nicolás del Real Camino vorbeiziehe, kommen mir Gedanken über die vielen Pilger auf dem Weg, das damit verbundene Angstgefühl einmal vielleicht keinen Herbergsplatz mehr zu bekommen, die Blasen an meinen Füßen und das Ziel Santiago. Ich denke zurück an das Erlebte und Erreichte. Immerhin habe ich nun bereits mehr als 400 km zu Fuß zurückgelegt, das heißt mehr als die Hälfte des Weges bis nach Santiago ist schon geschafft. Im Inneren kann ich die Eintönigkeit des Laufens und der Umgebung nutzen, um mit Gott zu sprechen. Dieser Weg sollte immer ein bewusster Weg mit Gott sein und heute geht es mal um Vertrauen und Kontrolle. Wie oft – auch auf diesem Weg – versuche ich die Kontrolle zu behalten, alles genau zu planen und blende Gott dabei aus! Dabei kann es so befreiend sein, ihm zu vertrauen und sich über den Segen zu freuen, den ich dadurch erfahre. Wie oft hat mich Gott auch hier schon bewahrt – vor ernsteren Verletzungen, vor Hunger und Durst, vor bösen Menschen, wilden Hunden und vor allem in der Not, als ich kein Geld mehr hatte. Dabei bedarf es manchmal nur eines „leap of faith“ also eines Sprunges des Glaubens und Vertrauens ohne sich groß den Kopf zu zerbrechen. Ist es nicht gerade das, was den Glauben ausmacht – sich einfach auch einmal fallen zu lassen und fest darauf zu vertrauen, dass Gott nur das Beste mit uns im Sinn hat? Oft ist es leichter gesagt, als getan aber die Möglichkeiten bieten sich immer wieder.

Ich nähere mich am späten Vormittag der nächsten größeren Stadt Sahagún. Die wirkt in dieser Landschaft mit all ihrer Trockenheit wie eine Stadt aus einem Western. Ich gönne mir hier wieder einen Kaffee und ein Gebäckteilchen als Wegstärkung. Vorher treffe ich noch auf Steffen, einen der drei Deutschen, die ich in Carrion kennengelernt hatte. Er ist weiter mit den beiden anderen unterwegs. Auch Lili treffe ich hier zusammen mit ihren Begleitern wieder, aber sie entscheiden sich, woanders etwas essen zu gehen.

Nach erfolgter Stärkung breche ich wieder auf. Mit dem herannahenden Mittag wird es wieder schrecklich warm. Zunächst noch spenden einige Bäume etwas Schatten auf dem Weg, aber mir wird das Laufen zunehmend schwerer. Ich kann es bald nicht mehr erwarten, endlich in die Herberge zu kommen. Als ich Bercianos erreiche, glüht die Sonne erbarmungslos in das kleine Nest und es scheint beinahe verlassen zu sein. Als ich an der Herberge ankomme zeigt diese sich als scheinbar baufällige alte Bruchbude, die überdies auch noch geschlossen ist und erst gegen 14 Uhr öffnet. Draußen warten aber bereits einige Pilger und ich geselle mich zu ihnen. Unter den Wartenden ist auch der Deutsche Steffen, dessen beiden Kameraden beschlossen haben, noch weiter zu laufen. Der Hospitalero ist ein älterer Mann, der sicher in der Herberge ist und weiß, dass draußen schon einige warten, aber er findet nicht die Gnade, sein Haus schon ein wenig früher zu öffnen. So füllt sich der Platz zunehmend mit Pilgern und als sich die Pforte öffnet strömen alle zum Haus. Es herrscht Gedränge und dabei fällt mir auf, dass sich Lili mit ihrer Begleitung schon ziemlich weit nach vorne gearbeitet haben, obwohl sie viel später angekommen waren, als andere Pilger. Es zeigt sich also auch hier, dass die (Un)Gerechtigkeit dieser Welt ihre Kraft besitzt. Da jeder Pilger erst seine Personalien für die Statistik hinterlassen muss und seinen Stempel in den Pilgerpass bekommt, zieht sich das Warten in der prallen Sonne lange hin. Danach kommt der Schock: die Herberge entspricht auch im Inneren dem Eindruck, den sie von außen machte. Es stehen einige Betten aufgestellt, eher Liegen, die furchtbar knarren und deren Matratzen in schlechtem Zustand und durchgelegen sind. Als alle Liegen belegt sind (ich hatte Glück und habe noch eine bekommen) werden die Betten noch soweit zusammengestellt, dass kaum noch Platz zum Vorbeilaufen ist, um Matten für weitere Pilger auszulegen. Alle sind furchtbar erschöpft und müde, aber der Kampf um die Duschen setzt trotzdem ein. Mit den Matten sind nun bestimmt an die 90 Leute in der Herberge und für alle gibt es ganze zwei Duschen jeweils für Damen und Herren. Es hat also keinen Sinn, die Schlange die erst vor der Herberge war, steht nun vor den Duschen. Ich finde es einfach nur schrecklich und stelle mir so ein Flüchtlingslager vor. Zudem war der Hospitalero auch ein grober Klotz, der die Leute nur angefahren hat und wenig Freundlichkeit übrig hatte. Am Abend wird allerdings doch noch ein Pilgeressen gekocht, das zwar bescheiden ist, aber dennoch gut schmeckt und alle ein wenig zusammen wachsen lässt. Allerdings herrscht nun aufgrund der überfüllten Herberge und der Hitze eine unerträgliche Luft in den Schlafräumen. Dies wird auch durch das herannahende schwere Gewitter, mit dem wir einschlafen, nicht sehr verbessert. Dies ist mit Abstand die schlimmste Herberge, die ich bisher erlebt habe.