Samstag, 13. Oktober 2007

Etappe 4: Von Pamplona nach Obanos

Es ist Freitag, der 27. Juli 2007.

Zum Frühstück in der Casa Paderborn treffe ich am morgen auf drei weitere Deutsche - einen Hamburger, der noch am selben Tag zurückreisen wird und Angelika und Felix, ebenfalls aus Norddeutschland, die als Oma und Enkel gemeinsam auf dem Weg nach Santiago sind. Nach diesem angenehmen "deutschen" Frühstück mache ich mich aber auf, um durch das morgendlich verschlafene Pamplona meinen Weg fortzusetzen. Nach einer Weile verlasse ich die Stadt und wandere noch an der Universität von Navarra vorbei in den Morgen. Das Wetter ist wieder bilderbuchartig, aber mittlerweile betrachte ich diesen Zustand zwiespältig, denn so schön das auch am Morgen noch ist, die Ahnung wie heiss es dann am Mittag sein wird, trübt das Ganze doch schon ein wenig.

Hinter Cizur Menor treffe ich auf einen Pilgertrek, der aus vielen verschiedenen Mitpilgern besteht, die alle in ein wenig Entfernung voneinander voranschreiten. Unter ihnen bemerke ich auch Alex, den jungen Engländer, den ich noch aus St-Jean kenne. Außerem treffe ich auf zwei junge Deutsche - Sebastian und Julian - die wirklich noch sehr jung sind und offenbar den Fehler gemacht haben, auf ihrer ersten oder zweiten Etappe gleich fast 40 km zu laufen. Dementsprechend fühlen sie sich auch und besonders Julians Füße beschweren sich nun. Ich entschliesse mich, immer mal ein Stückchen mit ihnen zu laufen und erkenne, dass sie oft auch kleine Fehler machen und sich so selbst das Leben auf dem Camino erschweren.

Auf dem Weg treffe ich auch auf zwei Frauen, die ebenfalls gemeinsam laufen. Lili kommt aus Deutschland und Heidi aus Kärnten in Österreich und beide haben sich auf dem Flughafen von Pamplona kennengelernt und sind seither gemeinsam unterwegs.

Am Vormittag erreichen die beiden Jungs und ich Zariquiegui (Bild rechts), wo wir gemeinsam rasten und uns mit frischem Brunnenwasser versorgen, denn vor uns steht der Aufstieg über den Alto del Perdón, einer Gebirgskette, die uns schon seit längerem aus der Ferne ansieht und die mit Windrädern am Kamm übersät ist (Bild unten).





Der Aufstieg ist schwierig, aber machbar. Wir sind aber so angestrengt, dass wir nicht groß miteinander reden und so begleitet uns beim Aufstieg lediglich das Geräusch des Windes und ein seltsam mechanisches Summen der Windräder, das noch deutlicher wird, je näher man kommt. Ich würde es fast als den "basso continuo" des Alto del Perdón bezeichnen.









Dann endlich haben wir es geschafft und den Gebirgskamm erreicht. Ziemlich erschöpft setzen wir uns nieder. Von hier oben hat man eine herrliche Aussicht über die Ebene zurück nach Pamplona und voraus in die Ebene, die nun vor uns liegt (Bild oben links). Man kann sogar schon so einigermaßen das Etappenziel in der Ferne ausmachen. Die Jungs sind allerdings wenig motiviert.

Oben am Kamm stehen viele Figuren aus Metall, die zusammen ein Pilgerdenkmal sein sollen. Ich finde die allerdings nicht sehr schön und habe eher den Eindruck, als sei es eine verrostete Darstellung eines alten Kreuzfahrerheeres.

Nun geht es an den Abstieg vom Alto del Perdón und der gehört bestimmt zu den schlimmsten Dingen, die ich bisher erlebt habe. Es geht schrecklich steil bergab und der Weg ähnelt einem ausgetrockenen Flussbett. Das heisst, er besteht nur aus Steinen und Geröll und man muss furchtbar aufpassen, dass man keinen Fehltritt tut und abrutscht. Zu allem Übel wird es nun in Richtung Tal auch wieder sehr heiss und das alles wird jetzt richtig schlimm. Vor allem in den Schultern und an den Füßen habe ich wieder heftige Schmerzen. An den Füßen drücken die Blasen und die Schultern ächzen unter dem Gewicht des Rucksacks. Immer wieder suchen wir uns ein schattiges Plätzchen um mal kurz auszuruhen. In Uterga verabschiede ich mich von den beiden Deutschen, die länger Pause machen wollen und sich statt Brunnenwasser lieber eine Cola gönnen. Ich finde, sie machen schon wieder einen Fehler, lasse sie aber zurück und marschiere allein weiter.

Jetzt ist es Mittag und jeder auch nur kleinste Schatten ist für mich ein Geschenk Gottes. Die Hitze ist unbarmherzig und außerdem kommen auch immer wieder irgendwelche Fliegen um mich herumgeflogen, was mich zur Weißglut bringt. Ich laufe stur durch, mache nur kurze Pausen um zu trinken und den Rucksack fünf Minuten abzusetzen. Dann geht es gleich weiter. Nur die Herberge in Obanos kann mich von diesen Dingen erlösen.

Gegen 14 Uhr erreiche ich Obanos, muss aber vor dem Ort noch eine steile Betonstrasse bergauf laufen, auf die die Sonne niederprasselt und die dadurch gleissend weiss auch noch auf die Augen schlägt. Der Ort selbst glüht auch in der Hitze und scheint menschenleer. Nur ein paar Bauarbeiter sind noch irgendwie am arbeiten - ein Wunder, wie die das aushalten!

Ich komme in der Herberge an und bin der vierte Herbergsgast. Vor mir kommt auch gerade ein Deutscher namens Mario an. Der Schlafsaal ist herrlich kühl, die Duschen sauber und es ist angenehm ruhig. Was für eine Belohnung nach all der Plage. Die Herberge ist richtig gemütlich. Es ist ein altes Haus mit Holzbalken an der Decke und einer urig rustikalen Küche - so stelle ich mir eine Hütte in den Bergen vor. Ich ruhe mich aus, schlafe ein wenig und esse von meinem Proviant. In den Ort zu gehen hat bei dieser Hitze ohnehin keinen Sinn und die Geschäfte machen auch erst nach der Siesta gegen 18 Uhr wieder auf (Bild unten: Kirche von Obanos).
Später dann wage ich den Weg nach draussen. Ich muss humpeln, denn vor allem die Blase am Fussballen hat sich vergrössert und zusätzliche Blasen gebildet. Der ganze Fuß ist angeschwollen und der damit entstandene Druck bereitet mir beim Laufen schlimme Schmerzen. Also gehe ich so gut es eben geht nach draussen und jetzt ist es tatsächlich erträglich, denn es setzt ein angenehmer föniger Wind ein. Obanos ist ein richtig gemütlicher kleiner Ort, der eine angenehme Ruhe und Friedlichkeit ausstrahlt. Ich steuere wegen meiner Beschwerden die Apotheke an, die sinnvollerweise gegenüber der Herberge liegt. Die Apothekerin weist mich freundlich aber direkt darauf hin, dass es nach der Siesta nicht mehr "Buenas dias!" sondern "Buenas tardes!" heisst und bedient mich erst, nachdem ich ihren Gruß richtig erwidert habe. Naja, auch Apothekerinnen haben eben ihren spanischen Stolz! Wegen meiner Blase rät sie mir zu Blasenpflaster von Compeed und erst jetzt bemerke ich, dass mich schon seit meinem Betreten des Ladens die gesamte Produktpalette von Compeed förmlich anlacht. Die scheinen also bestens auf die Pilger vorbereitet zu sein. Ich lasse mir ein paar Blasenpflaster geben und sinnigerweise steht auf der Verpackung, dass man nach Auflegen eines Pflasters möglichst drei Tage ruhen soll. Das ich nicht lache!

Am Abend scheint neben unserer Herberge ein Fest zu beginnen. Es werden Lautsprecherboxen und ein Mischpult aufgebaut, Leute laufen in historischen Kostümen herum und scheinen Theaterszenen zu spielen. Ich entscheide, mich ein wenig an die Plaza zu setzen und dem Treiben zuzusehen. Mit mir sind so ziemlich alle Generationen des Ortes vertreten. Am Abend scheinen hier alle aus ihren Löchern zu kriechen und Jung und Alt versammelt sich am Platz des Ortes. Mir gefällt, wie respektvoll alle miteinander umgehen, wie sich die Teenager treffen, die alten Leute scheinbar in ihren Sonntagskleidern einen Plausch miteinander halten oder sich um die Jüngsten kümmern und wie die anderen Erwachsenen sich um die Plaza versammeln um dem Spektakel zu folgen. Zu mir gesellt sich plötzlich ein Spanier, der aus dem Ort kommt und sich als Tomás vorstellt. Er erklärt mir, dass dies die Generalprobe eines Theaterstückes ist, welches jährlich von den Einwohnern aufgeführt wird und die Geschichte von Obanos darstellt. Es geht lustig und laut zu. Als Tomás hört, dass ich aus Deutschland komme, erzählt er mir, dass er gerne Handball spielt und so kommen wir auf die kürzlich von Deutschland gewonnene Handball-WM zu sprechen und er verneigt sich vor mir respektvoll als Vertreter des gegenwärtigen Handball-Weltmeisters. Ich finde das lustig, freue mich aber mehr darüber, dass wir uns irgendwie verständigen können.

Bald darauf gehe ich zurück in die Herberge und fasse den Entschluss aufgrund der Schmerzen an den Füßen morgen nur eine sehr kurze Etappe von 3 km bis nach Puente de la Reina zu gehen und dort einen Tag zu pausieren.

Etappe 3: Von Zubiri nach Pamplona

Es ist Donnerstag, der 26. Juli 2007.

Die Nacht in der Herberge von Zubiri war gut, wenngleich ich das erste Mal Ohrstöpsel gebrauchen musste, weil einer der Pilger in der Ecke laut geschnarcht hat. Allerdings habe ich dann ganz gut schlafen können und wache erst gegen 6:50 Uhr auf - eigentlich viel zu spät für meine Begriffe. Auch meine dänischen Freunde wachen jetzt erst auf.

Nachdem ich meine Sachen gepackt habe, kommt der Moment der Entscheidung. Aufgrund der Zeit - es ist bereits 8 Uhr - und meines Wegplanes, der mich nach Pamplona führen soll, beschliesse ich, allein weiterzugehen. Da die Dänen auch noch eine Kleinigkeit frühstücken wollen, werde ich in diesem Entschluss bestärkt. Ich nehme also Abschied von den Sechs, was mir aber sehr weh tut.

Ich laufe los und mir ist das Herz richtig schwer. Alles um mich herum ist so still, ich vermisse die Gespräche von gestern und das alles ist doch ein starker Kontrast zu dem vorherigen Tag. Wenigstens ist das Wetter schön und am morgen ist es auch noch angenehm kühl. Kurz hinter Zubiri liegt direkt am Weg eine hässliche Kiesfabrik (Bild rechts). 'Auch das ist Jakobsweg!' denke ich und stelle mir vor, wie es im Mittelalter gewesen sein muss, als es die Industrie und stark befahrenen Strassen noch nicht gab.

Nach einigen Kilometern habe ich meine Wehmut über die nunmehr wieder herrschende Einsamkeit überwunden. Ich empfinde es sogar als angenehm, wieder allein laufen zu können. So kann ich mein eigenes Tempo gehen, kann den Weg geniessen, der wunderschön ist und mich durch Wälder, entlang des ruhigen Rio Arga führt und ich kann den gestrigen Tag noch einmal innerlich reflektieren und über so manches Gespräch in Ruhe nachdenken. Das Gelände ist noch immer sehr hügelig, die Landschaft sehr abwechslungsreich. Immer wieder treffe ich auf andere Pilger und man grüsst sich freundlich. Bald schon wird es aber sehr warm und die Sonne gibt sich wieder alle Mühe, es uns Pilgern schwer zu machen. Zu Beginn ist das alles erträglich, denn die Bäume spenden uns Schatten. Nach einiger Zeit aber läuft man auf der Straße oder auf freiem Feld und dort gibt es keinen Schatten. Ich schwitze wieder sehr, meine Schultern schmerzen höllisch und ich muss oft pausieren um einfach den Rucksack abzusetzen. Einmal setze ich mich einfach zu zwei Spaniern, die sich am Wegesrand niedergelassen haben. Wir hatten uns schon vorher auf dem Weg mehrfach überholt und nun machen wir eben gemeinsam Pause. Ich spreche kaum Spanisch, sie kein Deutsch und nur wenig Englisch. Aber es sind die einfachen Gesten, die zählen: ein aufmunterndes Lächeln und ein Apfel, den sie mir anbieten. Dann verabschieden wir uns wieder und sie ziehen weiter. Kurz darauf überholt mich eine Gruppe italienischer Pilger - alles junge Leute, die die ganze Zeit singen. Ich bin mir nicht sicher, ob es italienische Schlager oder geistliche Gesänge im neuen Look waren. Jedenfalls bin ich froh, als wieder etwas Distanz zwischen uns ist, denn auf das italienische Wanderradio habe ich keine Lust. Die Schmerzen und die Hitze nerven mich. Und dann ertappe ich mich immer wieder bei dem geheimen Wunsch, doch noch plötzlich auf die Dänen zu treffen.

Weiter geht es, diesmal aber einen ziemlich steilen Pass bergauf, alles in der prallen Hitze ohne Bäume nur um nach circa zwei Kilometern wieder steil nach unten zu laufen. Es kommt einem vor, wie Schikane. Es ist jetzt bestimmt kurz vor Mittag und ich möchte jetzt nur noch nach Pamplona kommen. Leider dauert es noch gute zwei Stunden bis dahin und die Hitze wird unerträglich. Hinzu kommt, dass mir die Füße brennen.




Als ich in Trinidad de Arre ankomme und die schöne mittelalterliche Brücke (Bild rechts) sehe, bin ich etwas erleichtert. Ich weiss, dass es jetzt nicht mehr so weit bis Pamplona ist und dass die höchsten Berge der Etappe hinter mir liegen. Kurz kommt auch die Versuchung auf, in der Herberge in Trinidad zu bleiben, aber dann befürchte ich, die schöne Stadt Pamplona als Höhepunkt des Weges zu verpassen. Also laufe ich weiter.

Ich komme bald nach Burlada und damit in den städtischen Einzugsbereich von Pamplona. Hier ist es natürlich hektisch und verkehrsreich, also laufe ich so gut ich kann durch. Dank anderer Pilger auf der Strecke verlaufe ich mich nicht auf dem jetzt weniger gut ausgewiesenen Jakobsweg. Verlaufen und damit einen Umweg gehen wäre einfach nur schrecklich jetzt!

Vielleicht eine Stunde später sehe ich die Türme der Kathedrale von Pamplona. Das Ziel ist also fast erreicht. Ich steuere zuerst die Herberge "Casa Paderborn" außerhalb der Stadtmauern an, die von den "Freunden des Jakobsweg in Paderborn" geleitet wird. Dort angekommen, werde ich - völlig fertig - vom Herbergsvater Werner mit erfrischendem Zitronenwasser empfangen und bekomme ein Bett in der schönen und gemütlichen Herberge. Ich nehme eine Dusche und treffe dabei im Badezimmer auf Carla, die Südafrikanerin aus Roncesvalles. Wir unterhalten uns aber nur kurz, weil wir wohl beide zu erschöpft sind. Es sind bestimmt vierzig Grad draussen und ich will mich erstmal ausruhen und beschließe, mir später die Stadt anzusehen.

Am späten Nachmittag beginne ich, Pamplona zu erkunden und weil es noch immer sehr heiss ist, steuere ich zuerst die Kathedrale an. Später dann schlendere ich durch die engen Straßen der Stadt mit ihren kleinen Balkons und finde, dass Pamplona genau so aussieht, wie man es sich vorstellt. Die Altstadt ist nicht sehr groß und wirkt daher auch nicht so hektisch und beunruhigend. Als ich so spaziere, treffe ich plötzlich auf Roy, den Iren. Ich freue mich, ihn wiederzusehen und er erzählt mir nur kurz, dass er auf dem Weg in eine Apotheke ist, denn durch den bisherigen Weg hat er schlimme Blasen bekommen. Dann verabschieden wir uns schon wieder. Danach denke ich an meine eigenen Füße, an denen sich nun auch schon kleinere Blasen bilden. Vor allem am linken Fußballen und an den Zehen gibt es dafür schon Anzeichen, aber ich denke, ich werde damit schon fertig.


Nachdem ich dann noch ein paar Sachen eingekauft habe, suche ich die städtische Herberge in Pamplona auf, um zu schauen, ob ich dort vielleicht meine dänischen Freunde wiedertreffe. Und tatsächlich sitzen Soeren, Lea, Helga und Martin draußen auf der Straße im Schatten und ruhen sich aus. Ich setze mich zu ihnen und wir unterhalten uns wieder eine gute Stunde miteinander. Lea hat noch immer große Probleme mit den Knien und wird mit Soeren, der auch Blasen hat, entweder per Anhalter oder per Bus bis zur nächsten Etappe weiterreisen. Helga, Martin, Britta und Carsten wollen aber weiterlaufen. Da die Dänen insgesamt aber nur maximal zehn Tage auf dem Weg sind und dann wieder heimreisen müssen, heisst es am Abend doch wieder Abschied nehmen und diesmal vermute ich, dass es für immer sein wird. Es fällt mir aber nun nicht mehr so schwer. (Bild oben: Rathaus von Pamplona)
Nach einem weiteren Pilgermenü in Pamplona, das ich aber aufgrund der furchtbar unfreundlichen Bedienung schnell wieder vergessen möchte, gehe ich zur Herberge zurück. In unserem Vierbettzimmer liegen mittlerweile noch ein Pilger aus Südkorea und ein Deutscher. Der Südkoreaner hat natürlich pünktlich vor dem Schlafengehen noch irgendein asiatisches Gebräu auf seine Beine aufgetragen, so dass es nun im Zimmer riecht, wie im Labor. Der Geruch steigt allen Anwesenden in die Nase, aber wir müssen einfach alle nur darüber lachen. Bald schlafe ich dann ein.